Reise nach Ixtlan.
gleich wie dunkel die Nacht sein mochte, gut sehen könne, wenn ich den Blick nicht auf eine bestimmte Stelle richtete, sondern ihn einfach über den Boden gleiten ließ. Die Gangart der Kraft, sagte er, sei so ähnlich wie das Suchen nach einem Rastplatz. Beide beruhten auf dem Gefühl des Selbstvergessens und dem Gefühl des Vertrauens. Die Gangart der Kraft erforderte, daß man den Blick unmittelbar vor sich zu Boden richte; schon ein kurzer Blick zur Seite bewirke eine Veränderung im Bewegungsablauf. Er erklärte, das Vorbeugen des Rumpfes sei notwendig, um den Blick zu senken und die Knie müsse man bis zur Brust anheben, weil die Schritte sehr kurz und sicher sein mußten. Er warnte mich, ich würde anfangs häufig stolpern, versicherte mir aber, daß ich mit einiger Übung so rasch und sicher wie bei Tageslicht würde laufen können.
Vier Stunden lang versuchte ich, seine Bewegungen nachzuahmen und mich in die Stimmung zu versetzen, die er mir empfohlen hatte. Er trabte geduldig vor mir auf der Stelle oder rannte ein kurzes Stück weit und kehrte zu mir zurück, damit ich sehen konnte, wie er sich bewegte. Er stieß mich sogar vorwärts und brachte mich dazu, einige Meter weit zu laufen.
Dann lief er davon und rief mich mit einer Reihe von Eulenschreien zu sich.
Unerklärlicherweise bewegte ich mich mit erstaunlichem Selbstvertrauen. Soviel ich wußte, hatte ich nichts getan, was dieses Gefühl rechtfertigte, aber mein Körper schien die Dinge zu erkennen, ohne daß ich mir ihrer bewußt wurde. Zum Beispiel konnte ich die zerklüfteten Felsblöcke auf meinem Weg nicht erkennen, aber meinem Körper gelang es, stets auf die Kanten und nie in die Spalten zu treten, mit Ausnahme einiger Schnitzer, wenn ich das Gleichgewicht verlor, weil ich mich ablenken ließ. Um den Blick über die Fläche unmittelbar vor mir gleiten zu lassen, war eine absolute Konzentration nötig. Wie Don Juan vorhergesagt hatte, veränderte jeder rasche Blick zur Seite oder zu weit voraus den Fluß der Bewegungen. Nach langem Suchen entdeckte ich Don Juan. Er saß neben einigen dunklen Schatten, bei denen es sich um Bäume zu handeln schien. Er kam mir entgegen und sagte, ich stellte mich sehr geschickt an, doch müßten wir für diesmal aufhören, weil er seinen Vogelruf nun lange genug benutzt hatte und sicher war, daß er inzwischen von anderen nachgeahmt werden konnte.
Ich pflichtete ihm bei, daß es an der Zeit war, aufzuhören. Meine Versuche hatten mich ziemlich erschöpft. Ich war erleichtert und fragte ihn, wer wohl seinen Schrei nachahmen sollte. »Kräfte, Mächte, Verbündete, Geister, wer weiß?« flüsterte er. Diese »Wesen der Nacht«, erklärte er, stoßen normalerweise sehr melodiöse Töne aus, sind aber äußerst ungeschickt in der Nachahmung der Heiserkeit menschlicher Stimmen oder von Vogelrufen. Er ermahnte mich, wenn ich einen solchen Klang hörte, stets stehenzubleiben und mir alles, was er gesagt hatte, gut zu merken, denn es könne für mich irgendwann einmal wichtig sein, solche Geräusche richtig zu identifizieren. Beschwichtigend meinte er, ich hätte die »Gangart der Kraft« sehr gut begriffen, und es fehle nicht mehr viel, bis ich sie vollends beherrschte, das würden wir ein andermal machen können, wenn wir wieder einmal durch die Nacht streiften. Er klopfte mir auf die Schulter und verkündete, er sei bereit, aufzubrechen.
»Laß uns von hier verschwinden«, sagte er und begann zu laufen.
»Warte, warte!« schrie ich außer mir. »Laß uns langsam gehen.«
Don Juan blieb stehen und nahm den Hut ab. »Oh Gott«, sagte er bestürzt. »Nun sitzen wir in der Patsche. Du weißt doch, daß ich in der Dunkelheit nicht langsam gehen kann. Ich kann nur laufen. Wenn ich gehe, werde ich mir die Beine brechen.«
Ich hatte das Gefühl, daß er grinste, als er dies sagte, obgleich ich sein Gesicht nicht sehen konnte.
In vertraulichem Ton fügte er hinzu, er sei zu alt, um langsam zu gehen, und das Wenige, das ich von der »Gangart der Kraft« gelernt hatte, müsse eben angesichts der Notlage etwas strapaziert werden.
»Wenn wir uns nicht der „Gangart der Kraft" bedienen, werden wir niedergemäht wie Gras«, flüsterte er mir ins Ohr. »Von wem?«
»Es gibt Dinge in der Nacht, die auf Menschen einwirken«, flüsterte er in einem Ton, der mir ein Frösteln über den Rücken jagte.
Er sagte, es sei nicht wichtig, daß ich mit ihm Schritt hielte, denn er werde mir von Zeit zu Zeit mit jeweils vier
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