Reise ohne Wiederkehr
erstmals außerhalb des eigenen Haushalts arbeiteten. Als Haushaltshilfen, Näherinnen und Kindermädchen wurden viele Frauen zu den Haupternährerinnen |57| ihrer Familien. Wenn auch aus der Not entstanden, konnte diese Situation eine emanzipatorische Verschiebung der traditionellen Geschlechterrollen – der Mann als Familienoberhaupt, Entscheidungsträger und Ernährer, die Frau als Hausfrau und Mutter – bedeuten, die ohne das Exil nicht oder nur viel später zustande gekommen wäre. Etliche Männer gerieten durch die Auflösung der überkommenen Geschlechterordnung in eine Identitätskrise, die durch den beruflichen Statusverlust verschärft wurde. Hertha Nathorff schrieb über ihren Mann:
[E]r kommt nicht los von dem Geheimratssohn, dem Geheimratsmilieu, sein Stolz, sein dummer Stolz, dass er der Ernährer der Familie sein müsste und künftig sein will, quält ihn, aber er quält auch mich. 16
Solche Konflikte konnten eine zusätzliche Bürde in der ohnehin angespannten Situation des Exils bedeuten.
Hollywood-Karrieren
Diejenigen Flüchtlinge, die in ihren früheren Berufen weiterarbeiten konnten, waren nur bedingt besser gestellt. Der Theater- und Drehbuchautor Alfred Neumann (geboren 1895 in Lidzbark, Polen, gestorben 1952 in Lugano) erhielt wie viele andere Schriftsteller eine Anstellung in Hollywood. Aus Solidarität vergaben die großen Filmgesellschaften Warner Brothers und Metro-Goldwyn-Mayer solche Verträge, die Voraussetzung waren, um ein Visum zu erhalten. In Los Angeles konnte Neumann nicht an seine bisherigen Erfolge anknüpfen. Seine Stelle war ein reiner Broterwerb, der keine Zeit und Muße zur eigenen schriftstellerischen Arbeit ließ. Desillusioniert schrieb er 1941:
[M]an ist zwar [...] als
writer
angestellt und wird dafür gezahlt: aber das, was man beruflich und vertraglich schreibt, wird nicht
gelesen
. Man hört und sieht nichts mehr von dem, was man abgeliefert hat |58| – man hört und sieht überhaupt niemanden. Man sitzt seine Zeit ab, Tag für Tag, und arbeitet natürlich für sich; aber da ich wohl gerne hinter dem Schreibtisch sitze, hinter dem eigenen, und durch die Bürozeit und ihre stille Sinnlosigkeit irritiert bleibe, ist noch nicht allzu viel für die eigene Arbeit herausgekommen. Bei alledem bleibt natürlich der Blick kühl genug, um festzustellen, dass eine leerlaufende charity [wohltätige Arbeit] immer noch besser ist als gar keine. 17
Selbst wenn ihre Texte gelesen wurden, hatten viele exilierte Schriftsteller das Gefühl, sich unter Wert zu verkaufen, noch dazu an eine kommerzielle Institution wie Hollywood, der gegenüber einige deutsche „Dichter und Denker“ Vorbehalte pflegten.
Anders als Neumann hatte der Drehbuchautor, Regisseur und Filmjournalist Billy Wilder in Hollywood bemerkenswerten Erfolg. Wilder (geboren als Samuel Wilder 1906 in Sucha, Galizien, gestorben 2002 in Los Angeles), der in Kraków und Wien aufgewachsen war, teilte die Amerikabegeisterung seiner Mutter; von ihr stammte sein Spitzname „Billie“. Als er nach einem abgebrochenen Jurastudium 1925 nach Berlin kam, gelang es ihm u. a. aufgrund seiner Kenntnisse über die USA, sich als Journalist zu etablieren. Gleichzeitig begann er, als
ghostwriter
Drehbücher zu schreiben. Von Wilder stammt das Buch für den berühmten Film
Menschen am Sonntag
, einer der letzten Stummfilme, die in Deutschland gedreht wurden; außerdem schrieb er das Skript für die Verfilmung von Erich Kästners
Emil und die Detektive
. Beruflich stellten die frühen Dreißigerjahre einen vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere dar, doch die politischen Entwicklungen unterbrachen seine Arbeit in Deutschland. Wie zahlreiche Filmschaffende floh er aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1933 nach Frankreich. Dort wie in den Niederlanden, Großbritannien und Ungarn war es bis Mitte bzw. Ende der Dreißigerjahre relativ einfach, Aufträge und Anstellungen der jeweiligen Filmindustrie zu erhalten. Doch letztlich gelang es nur den wenigsten, sich in den europäischen Exilländern richtig zu etablieren, sodass die meisten früher oder später nach Hollywood weiterreisten. So auch Billy Wilder, der Anfang 1934 in die USA |59| ging, wo bereits sein Bruder lebte. Nicht all seinen Familienmitgliedern gelang die Flucht: Erst nach Ende des Krieges erfuhr Wilder, dass seine Mutter, sein Stiefvater und seine Großmutter in Auschwitz ermordet worden waren.
In Los Angeles hielt sich Wilder anfangs nur mit Mühe über
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