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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna R. Unger
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anstrengende Pflicht. Ihre Eltern, die sich bemühten, im Exil die deutsche Kultur und Sprache zu pflegen, irritierte das. Ihr Vater schrieb: „Erst nimmt Hitler dem Kind die Heimat und nun auch noch die Sprache.“ 34 Bezeichnenderweise wurde Madeleine später Dolmetscherin.
    Im Exil Deutsch zu sprechen, konnte leicht zu einem Politikum werden. Besonders in Palästina gab es Kritik an den Exilanten, die darauf beharrten, sich untereinander auf Deutsch zu unterhalten. Schließlich stand Palästina für die Idee, nationale Zugehörigkeiten zugunsten der zionistischen Idee zu überwinden; ein Ausdruck dieser übernationalen, auf religiöser Identität basierenden Idee war die gemeinsame hebräische Sprache. Mit der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten wurde Deutsch für viele |78| zur „Sprache der Mörder“, und einige zionistische Gruppen versuchten, den Gebrauch des Deutschen zu unterbinden. 35
     
    Literarisches Exil
     
    Existenziell war das Sprachproblem für emigrierte Autoren und Schriftsteller. Alfred Döblin hatte sich bereits im französischen Exil mit der neuen Sprache schwer getan, konnte damals aber noch seine deutschen Texte im Amsterdamer Querido-Verlag veröffentlichen. Bei Querido betreuten die ebenfalls geflohenen Lektoren des Kiepenheuer Verlags, Fritz Landshoff, Walter Landauer (geboren 1902 in Berlin, gestorben 1944 im Konzentrationslager Bergen-Belsen) und Hermann Kesten, zahlreiche Werke deutschsprachiger Exilanten. Mit dem Englischen kam Döblin während seines Exilaufenthalts überhaupt nicht zurecht. Deprimiert schrieb er:
    Ein Schriftsteller trägt mit der Sprache ein Stück seiner Heimat mit sich und eine Amputation (Herüberwechseln zur anderen Sprache) ist tödlich. [...] Ich beneide [...] Maler, Componisten, die nicht so streng und straff gebunden und gehindert werden. 36
    Döblins Verwendung des Begriffs „Amputation“ deutet darauf hin, dass der Sprachverlust für einige Schriftsteller eine Art körperliche Verletzung darstellte. Das Gefühl, sich in der fremden Sprache nicht so differenziert ausdrücken zu können, wie man es von der eigenen Sprache gewohnt war, stellte für exilierte Autoren eine einschneidende, manchmal quälende Erfahrung dar – ganz abgesehen von der materiellen Unsicherheit, die sich aus dieser Sprachlosigkeit ergab. Ganz bewusst versuchten viele Schriftsteller im Exil, das Schreiben in der deutschen Sprache fortzusetzen, um sie auf diese Weise der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten zu entziehen. Dies war allerdings ein anspruchsvolles Projekt, denn Sprache als Ausdruck sozialer Bedingungen und Beziehungen verändert sich kontinuierlich und lässt sich kaum isoliert „rein erhalten“.
     
    |79| Deutschlands Geschichte schreiben –
    Doktor Faustus
     
    Umso interessanter ist daher die literarische Tätigkeit exilierter Schriftsteller. Zwar lässt sich nicht sagen, dass das Exil formale Neuerungen oder eine eigene literarische Ästhetik hervorgebracht habe. 37 Die meisten deutschsprachigen Romane, Erzählungen und Gedichte, die im Exil entstanden, knüpften an die Traditionen der Weimarer Zeit an und führten die Neue Sachlichkeit fort, die die Nationalsozialisten als „undeutsch“ bekämpften. Neu waren jedoch die Themen der Veröffentlichungen und Manuskripte (denn viele Texte wurden nie oder erst mit großer Verspätung veröffentlicht): Eine große Zahl von ihnen bezog sich auf die individuelle und kollektive Exilerfahrung oder auf die politische Situation im jeweiligen Heimatland, und fast alle positionierten sich gegen das NS-Regime und den Faschismus. Thomas Manns Roman
Doktor Faustus
, der zwischen Mai 1943 und Februar 1947 in Kalifornien entstand, ist eines der eindrucksvollsten Beispiele dieser Auseinandersetzung mit Deutschlands politischer und intellektueller Entwicklung.
    Doktor Faustus
lässt sich als Spiegelung der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert verstehen. Erzählt wird die Geschichte des Komponisten Adrian Leverkühn, der einen Pakt mit dem Teufel schließt, um seine Schaffenskraft zu sichern. Sein Schul- und Studienfreund Serenus Zeitblom beginnt im Mai 1943, die Geschichte Leverkühns aufzuzeichnen. Die erzählte Zeit erstreckt sich über zwei Jahre; Zeitblom beendet seinen Bericht am 8. Mai 1945. Die Person Leverkühns weist zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem Philosophen Friedrich Nietzsche auf, und seine künstlerische Arbeit ist an der u. a. von

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