Reise ohne Wiederkehr
lebte ein in vieler Hinsicht modernes, emanzipiertes Leben. Beide Partner, die eine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich gleichberechtigte Ehe führten, waren jüdischer Herkunft und damit seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten bedroht. Ihre Söhne waren zwar protestantisch getauft, wären jedoch ebenfalls verfolgt worden.
1933 erschien Vicki Baums Name auf der „Schwarzen Liste“ des nationalsozialistischen Kampfbundes für Deutsche Kultur, weil es von ihr hieß, sie verunglimpfe mit ihrer Arbeit die deutsche Nation. Ihr Mann hätte seine Position an der Berliner Oper vermutlich im Frühjahr oder Sommer 1933 verloren, wäre er nicht bereits 1932 aus dem Verband der Staatsoper ausgetreten, um in die USA überzusiedeln. Insofern entging die Familie zwar weitgehend der nationalsozialistischen Diskriminierung, doch natürlich hörten sie von den Erfahrungen ihrer in Deutschland und Österreich gebliebenen Freunde, Bekannten und Verwandten. Allerdings erfuhr Vicki Baum erst nach dem Krieg, dass ihr Vater, der seit 1933 bei Verwandten im jugoslawischen Novi Sad gelebt hatte, im Zuge eines Massakers an der jüdischen Bevölkerung 1942 von ungarischen Faschisten ermordet worden war. Dass sich die Autorin mit ihrer Familie in Santa Monica, Kalifornien, niederließ, bedeutete auch, dass sie sich in nächster Nachbarschaft zu den deutschsprachigen Exilanten befand, die seit den frühen Dreißigerjahren sukzessive an die Westküste kamen. Es ist also anzunehmen, dass Baum mit ihren Kollegen und Nachbarn über die Situation in Europa sprach und über die Bemühungen Bescheid wusste, den dort Verbliebenen und Bedrohten zu helfen.
Allerdings hielt sie sich politisch bis Mitte der Dreißigerjahre auffällig zurück. Erst 1937/38, in Zusammenhang mit dem Spanischen Bürgerkrieg, nutzte sie ihr Prestige, um Gelder für die Internationalen Brigaden zu sammeln und zu Solidarität mit den spanischen Republikanern aufzurufen, die (letztlich vergeblich) gegen die Frankisten kämpften. Baum wurde Mitglied des Exil-PEN-Clubs, spendete Geld an den Jewish Welfare Fund und den European Film Fund, um geflohene |86| Filmschaffende zu unterstützen, und griff zahlreichen exilierten Bekannten und Freunden finanziell unter die Arme. Politischen Gruppierungen schloss sie sich jedoch nicht an, und erst 1942 – nach Kriegseintritt der USA – trat sie wieder in der Öffentlichkeit auf, um amerikanische Kriegsanleihen verkaufen zu helfen und den Kampf der Vereinigten Staaten gegen den Faschismus zu unterstützen. All das geschah jedoch offenbar mehr aus Pflichtgefühl denn aus Überzeugung. Nachdem Vicki Baum im Mai 1942 vor dem New World Club zu jüdischen Exilanten aus Deutschland und Österreich gesprochen hatte, schrieb sie polemisch an ihren Mann:
Diese Woche war ich eingefangen worden, zwei Mal zu den deutschen Juden zu reden, was genug ist, um einen Nazi aus einem zu machen. Schrecklich! 41
Offenbar identifizierte sich die Autorin, die bereits 1938 amerikanische Staatsbürgerin geworden war, kaum mit dem Schicksal der deutschsprachigen jüdischen Exilanten und empfand auch kein Bedürfnis, die Verbindung zur deutschen Kultur mittels persönlicher Kontakte aufrechtzuerhalten, die über bestehende Freundschaften hinausreichten. Viel wichtiger war es ihr, Teil der amerikanischen Gesellschaft und Nation zu werden. Insofern lag es nahe, dass sie die deutsche Sprache bald hinter sich ließ. Nur mit ihrem Mann und mit einigen engen Freunden sprach sie Deutsch (allerdings durchsetzt mit englischen Begriffen und Redewendungen). Seit Beginn der Vierzigerjahre veröffentlichte sie nur noch in englischer Sprache – auch deshalb, weil sie mit den Übersetzungen ihrer deutschsprachigen Bücher immer unzufriedener war, je länger sie in den USA lebte.
Neue Sprache, neue Gedanken
Während es für Schriftsteller eher ungewöhnlich war, die Sprache des Exillandes so vollständig und vorbehaltlos zu übernehmen, wie Vicki Baum es tat, erlebten zahlreiche Wissenschaftler die Herausforderung, |87| in einer neuen Sprache zu arbeiten, als professionellen Gewinn. So etwa der marxistische Volkswirtschaftler, Philosoph und Kulturwissenschaftler Otto Neurath (geboren 1882 in Wien, gestorben 1945 in Oxford), der 1940 über die Niederlande nach England geflohen war: Gegenüber einem ebenfalls geflüchteten Bekannten, der Mühe mit der englischen Sprache hatte, stellte er fest, er schreibe gern auf Englisch, denn „[f]ür wissenschaftliche
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