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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna R. Unger
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for Social Research sowie ein entsprechendes Visum, sodass er im April 1938 in die USA einreisen konnte. Kaum ein Jahr später kündigte die US-Regierung jedoch an, ihn zurückzuschicken, da er als bekennender Kommunist in den Vereinigten Staaten nicht gern gesehen war. Um dem zu entgehen, reiste Eisler (ähnlich wie Billy Wilder und viele andere) nach Mexiko, wo er ein Besuchervisum für die USA erhielt, mit dem er 1940 wieder ins Land gelangte. Doch der Erfolg war getrübt: Kurze Zeit später drohte ihm erneut die Verhaftung durch US-Behörden und die Abschiebung nach Europa; also floh er abermals nach Mexiko, während sich in den Vereinigten Staaten zahlreiche Fürsprecher für ihn einsetzten. Erst im Herbst 1940 erhielt Eisler ein dauerhaftes Visum, mit dem er sich in den USA niederlassen und den Prozess der Einbürgerung beginnen konnte.
    In New York leitete Eisler das sogenannte „Film Music Project“, das die Rockefeller Foundation mit der beachtlichen Summe von 20   000 Dollar finanzierte. Ziel des Projekts war es, die neue Musik, die Arnold Schönberg, Béla Bartók und Igor Strawinsky entwickelt hatten, „auf den Film anzuwenden“. Dahinter stand das Bemühen, den „Bruch zwischen den hochentwickelten szenischen und fotografischen Techniken des Films und der im allgemeinen weit dahinter zurückgebliebenen Filmmusik“ zu überwinden. 52 Eislers Beschäftigung mit der Zwölftontechnik, von der sich der Komponist zwischenzeitlich abgewandt hatte, lässt sich durchaus als politische Handlung verstehen: Im Nationalsozialismus galt die neue Musik als „entartet“ und war verboten. Sie im Exil aufzuführen, zu analysieren und weiterzuentwickeln ließ sich als Eintreten für die künstlerische Freiheit und den Pluralismus verstehen, die das NS-Regime unterbunden hatte.
    Die Befunde seiner Untersuchung fasste Eisler 1944 gemeinsam mit Theodor W. Adorno in dem Text „Komposition für den Film“ zusammen; |98| darin nahm Adorno einige Elemente seiner mit Max Horkheimer formulierten Kritik an der „Kulturindustrie“ vorweg. Praktisch kam Eislers Bemühen, die Trennung zwischen „ernster“ und „unterhal tender “ Musik sowie die Skepsis gegenüber der modernen Musik zu überwinden, in Hollywood zum Tragen. 1942 zog der Komponist nach Santa Monica, wo er rasch fester Bestandteil der deutschsprachigen Exilgemeinde wurde und Filmmusik für Hollywood schrieb. Dabei versuchte er Stücke zu komponieren, die einem Massenpublikum, wie es die Hollywood-Filme anzogen, avangardistische Musik nahebrachten. Zugleich wollte er die amerikanische Filmindustrie davon überzeugen, dass die Verwendung moderner Musik im Film keinen kommerziellen Verlust bedeuten musste. 53 Entsprechend hält die neuere Exilmusikforschung Eisler zugute, es sei ihm gelungen, den „kritischen Impuls gegen die [amerikanische] Kulturindustrie mit dem Blick auf die Leistungen und Versäumnisse der europäischen Tradition zu verbinden“. 54 So verlieh Eisler sowohl der Hollywood-Filmmusik als auch der Musikwissenschaft neue Impulse.
    Neben den Aufträgen der Filmindustrie komponierte Eisler in Santa Monica zahlreiche Lieder, die in seinem berühmten
Hollywooder Liederbuch
enthalten sind, sowie einige Propagandalieder für Kurzwellensendungen des Office of War Information, die nach Deutschland ausgestrahlt wurden. An manchen dieser Lieder waren gleich mehrere Exilanten beteiligt – so etwa an dem Lied
In Sturmesnacht
, das Eisler, Adorno und Paul Dessau gemeinsam schrieben und in das sie ein Stalin-Zitat einbauten: „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk besteht.“ In den letzten Kriegsjahren nahm Eislers exilpolitisches Engagement ab, und die wenigen Lieder, die er noch in Kalifornien schrieb, zeigen, so die Einschätzung eines Musikhistorikers, „wie stumpf die ‚Schärfe der Emigration‘ geworden [war], seit der Krieg beendet und die Eingemeindung in die Kulturszene Hollywoods erfolgreich abgeschlossen [war]“. 55 Ob diese Aussage auf Eisler zutrifft, dieser sich also in Los Angeles tatsächlich „entpolitisierte“, ist fraglich.
    Von der Person Eislers abstrahiert, weist die Aussage auf das Dilemma hin, mit dem sich viele Künstler konfrontiert sahen: Einerseits |99| wollten sie mit ihrer Arbeit dazu beitragen, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu fördern und die Existenz einer alternativen deutschen Kultur zu sichern, andererseits mussten sie schlicht und ergreifend Geld verdienen und wollten –

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