Reise ohne Wiederkehr
verständlicherweise – die neuen Chancen nutzen, die sich ihnen boten.
Das Nationalkomitee Freies Deutschland
Neben kulturpolitischen Aktivitäten im weitesten Sinne gab es auch Versuche, Einfluss auf die Gestaltung der Deutschlandpolitik der jeweiligen Exilländer zu nehmen. Allerdings waren die meisten Regierungsstellen misstrauisch, was die Zusammenarbeit mit Exilanten anging, weil sie sie für nicht zuverlässig genug hielten oder sie der Spionage verdächtigten. Das war auch das Schicksal des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD) und seines amerikanischen Ablegers. Gegründet wurde das Nationalkomitee im Sommer 1943 von deutschen Exilanten und Kriegsgefangenen in der UdSSR; die sowjetische Führung unterstützte das Vorhaben. Die Vertreter des Komitees sollten die deutschen Generale dazu bewegen, die Kriegshandlungen gegen die Sowjetunion einzustellen und die Besatzung der eroberten Gebiete aufzugeben. Wenn dies gelänge, würde die sowjetische Regierung einem Waffenstillstand zustimmen und mit einer deutschen Nachfolgeregierung einen Friedensvertrag schließen, ausgehend von Deutschlands Grenzen von 1937. Mit dieser Mittlerrolle übernahm das NKFD die Funktion einer deutschen Exilregierung, die sicherstellen sollte, dass Deutschland im (wahrscheinlichen) Fall einer Niederlage nicht aufgeteilt oder gar aufgelöst würde, sondern als selbstständiger Staat weiterbestünde.
Im Herbst 1943 wurde in New York mit dem Free Germany Movement ein westlicher Ableger des Nationalkomitees gegründet. Die amerikanische Regierung hielt die Gruppe für eine kommunistische, von der Sowjetunion gesteuerte Organisation und überwachte deshalb ihre Tätigkeit. Auch aus diesem Grund ließ sich die Hoffnung, das Movement könne zum Kern einer deutschen Exilregierung auf westlicher Seite werden, nicht realisieren. Hinzu kam, dass in den deutschen |100| Exilantenkreisen in den USA Uneinigkeit über das Nationalkomitee herrschte. Thomas Mann beteiligte sich zwar an der Formulierung einer Solidaritätserklärung, zog seine Unterschrift dann aber im letzten Moment zurück. Ihm erschien der Text zu patriotisch, und er befürchtete, die westlichen Alliierten damit zu verärgern. Dahinter stand ein grundsätzlicher Streit über die Natur des Nationalsozialismus und den angemessenen Umgang mit ihm.
Verkörpert wurde dieser Gegensatz von Bertolt Brecht auf der einen und Thomas Mann auf der anderen Seite: Brecht meinte, dass es zwei Deutschlands gebe, das der Nationalsozialisten und das ihrer Gegner. Deshalb dürfe man nicht alle Deutschen wie Feinde behandeln, sondern müsse jene unterstützen, die das „gute“ Deutschland repräsentierten. Dagegen war Thomas Mann der Ansicht, es gebe nur ein Deutschland, das beide Elemente, das „gute“ und das „schlechte“, enthalte. Da gegenwärtig offensichtlich das „schlechte“ Element überwiege, müsse Deutschland als Ganzes bekämpft werden, anstatt bestimmte Gruppen von der Kritik auszunehmen.
Das Council for a Democratic Germany
Eine Position zwischen diesen beiden Polen hatte das Council fora Democratic Germany inne, das im Mai 1944 in New York gegründet und von Paul Tillich geleitet wurde. Tillich war SPD-Mitglied und aus politischen Gründen 1933 von seiner Theologie-Professur an der Universität Frankfurt am Main entlassen worden. Noch im selben Jahr floh er in die USA, wo er am Union Theological Seminary und an der Columbia University unterrichtete. Gleichzeitig engagierte er sich exilpolitisch, schrieb im Auftrag des Office of War Information Radioansprachen, die nach Deutschland gesendet wurden, und pflegte zahlreiche Kontakte zur US-Regierung sowie zu amerikanischen Intellektuellen. Die politische Zusammensetzung des Council for a Democratic Germany orientierte sich am letzten Weimarer Parlament, um auf diese Weise die deutsche Gesellschaft vor 1933 zu repräsentieren und ein politisches Gleichgewicht zu erzielen. Geeint wurden die verschiedenen |101| Lager innerhalb des Gremiums u. a. von ihrer Kritik am Morgenthau-Plan. Dieser, nach dem amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau benannte Plan sah vor, Deutschland in Zonen aufzuteilen, das Land vollständig zu deindustrialisieren und in einen ungefährlichen Agrarstaat zu verwandeln – eine Vorstellung, die selbst die entschiedensten Gegner des Hitler-Regimes ablehnten.
Im Februar 1945 spaltete sich das Council im Streit um die Krimkonferenz der Alliierten. Einige Mitglieder fanden die von
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