Reise ohne Wiederkehr
Palimpsest aus Texten, ‚letzter Europäer‘, ‚Zettelkasten‘, wie er sich selbst beschreibt, in Amerika?“ 49 Hannah Arendt interpretierte Benjamins Tod als eine grausame, aber letztlich frei gewählte, selbst bestimmte und daher noble Variante des Exils in einer inhumanen Zeit.
Ganz anders politisch motiviert war Anna Seghers’ schriftstellerische Arbeit im mexikanischen Exil. Dort entstand ihr Roman
Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland
, der das antifaschistische Bewusstsein der Leserschaft stärken sollte. Im Stil des Sozialistischen Realismus erzählt das Buch die Geschichte von sieben Männern – jeder repräsentiert eine gesellschaftliche Gruppe –, die aus einem deutschen Konzentrationslager fliehen. Der Kommandant des Lagers lässt aus Bäumen sieben Kreuze konstruieren, um die Geflohenen daranzuschlagen, wenn sie gefasst sind. Dieses Schicksal teilen sechs Flüchtlinge; nur einem, dem Kommunisten Georg Heisler, gelingt es mithilfe von Freunden und Genossen, sich zu verstecken und schließlich mit einem gefälschten Pass zu fliehen. Der Roman erschien in dem von Seghers mitgegründeten El Libro Libre-Verlag, den der kommunistische Exilant Walter Janka (geboren 1914 in Chemnitz, gestorben 1994 in Kleinmachnow) leitete. 1944 wurde der in viele Sprachen übersetzte Roman in Hollywood verfilmt; in der DDR war er Pflichtlektüre an Schulen, weil er das antifaschistische Erbe repräsentierte, auf das sich die ostdeutsche Führung berief.
Die neue Musik – Ein Politikum im Exil
Ebenfalls kommunistisch orientiert war die Exilarbeit des Komponisten Hanns Eisler (geboren 1898 in Leipzig, gestorben 1962 in Ost-Berlin). Eisler, der aus einer jüdischen Familie aus Österreich stammte, studierte Musik bei Arnold Schönberg und Anton von Webern und |95| war in der politischen Linken der Weimarer Republik aktiv; der KPD trat er 1926 bei. Er schrieb Arbeiterlieder, Kantaten, Chöre und Orchesterwerke mit politischem Hintergrund und arbeitete mit Bertolt Brecht zusammen. Im Februar und März 1933, also kurz nach der NS-Machtübernahme, hielt er sich gerade in Wien auf. Dort erfuhr er, dass die Nationalsozialisten ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatten, weshalb er nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte. Für Eisler als bereits anerkannten Musiker, der zahlreiche Kontakte ins Ausland hatte, stellte das Exil keine existenzielle Herausforderung dar. Aufträge und Projekte, um den Lebensunterhalt zu finanzieren, fanden sich relativ leicht und in ausreichender Zahl. In den Dreißigerjahren war Eisler beständig unterwegs – in Paris, Prag, London, Moskau und New York, um nur einige Städte zu nennen, die er bereiste. 50
Mitte der Dreißigerjahre besuchte er mehrfach Bertolt Brecht, der nach Dänemark geflohen war, und vertonte dessen Gedichte, die sich gegen Hitler und die NS-Herrschaft, Mussolini und den Faschismus richteten. Doch nicht nur die weltpolitischen Entwicklungen, sondern auch das eigene Schicksal floss in Eislers Arbeit ein. Ein Beispiel dafür ist das 1937 entstandene Werk
Man lebt von einem Tag zum andern – Kantate im Exil
. In ihr behandelt Eisler die Vorläufigkeit des Lebens im Exil, die Unsicherheit der Exilanten und ihre Ungewissheit über die Zukunft. Im Text heißt es: „Alles lebt in Erwartung“, „Nie mand lebt in der Gegenwart“ und „So vergeht die Zeit“. Im Gegensatz zu Eislers anderen Kantaten dieser Zeit (z. B.
Kantate auf den Tod eines Genossen, Zuchthauskantate oder Kriegskantate
) erscheint die Exilkantate wenig kämpferisch. Zwar fordert sie die Exilanten auf, sich aus ihrer Passivität zu lösen („Die Freiheit bekommt man nicht geschenkt, man muss sie sich nehmen“), doch die Intonation des Stückes – die Kombination aus Zwölftontechnik und funktionaler Harmonik, die Anklänge an „volkstümliche“ Weisen und der chromatisch gesetzte Schluss – weist darauf hin, dass die „Ermutigung zum Kampf“ der „Nachdenklichkeit“ gewichen ist. 51
1937 war für Eisler klar, dass ein baldiges Ende des Exils unrealistisch war. Im Jahr zuvor hatten in Moskau die Schauprozesse gegen |96| vermeintliche Stalin-Gegner, die sogenannten „Säuberungen“ begonnen. Etliche von Eislers Freunden und Bekannten, die in Moskau im Exilanten-Hotel Lux wohnten, waren dadurch bedroht, und an eine Emigration in die UdSSR war nicht mehr zu denken. Unterdessen wuchs die Kriegsgefahr in Europa kontinuierlich. In dieser Situation erhielt Eisler eine Einladung der New School
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