Reise ohne Wiederkehr
Frauen in leitende Positionen innerhalb der SPD zu wählen. Unter den Bedingungen des Exils verschob sich der innerparteiliche Einfluss wieder zugunsten der Männer. Tradierte Rollenmuster wurden gestärkt, sodass Frauen im Führungsgremium der Partei nicht vertreten waren. Insofern konnte das Exil auch neue Gräben schaffen bzw. solche erneuern, die zuvor zumindest ansatzweise überwunden worden waren. 56 Einige mögen darüber erleichtert gewesen sein, dass „die beunruhigenden Emanzipationsturbulenzen zwischen den Geschlechtern“, die in der Weimarer Republik zugenommen hatten, auf diese Weise gestoppt waren. Doch obwohl exilierte Frauen auf der offiziellen Leitungsebene fehlten, wirkten sie in den kommunistischen Parteien und kleineren linken Gruppierungen weiterhin an prominenter Stelle mit. Generell spielten sie im politischen Widerstand eine überaus wichtige Rolle: als Kuriere, Redakteurinnen von Untergrundzeitungen sowie als Agentinnen. 57
In fast allen Ländern, in die deutschsprachige Exilanten flüchteten, entstanden sozialdemokratische Gruppierungen. Nicht all ihre Mitglieder hielten sich an die Vorgaben der SOPADE, sondern koalierten mit Splittergruppen und entwarfen ihre eigenen Programme für die zukünftige Arbeit in Nachkriegsdeutschland. Ernst Reuter war einer |104| jener Exilanten, die sich von der offiziellen Linie der Exil-SPD distanzierten. Reuter, der zeitweise Verbindungen zum deutschen Widerstand (u. a. zu Carl Friedrich Goerdeler) und zur Gruppe
Neu Beginnen
hatte, unterstützte von der Türkei aus die Bemühungen, eine „Einheitsfront“ zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten herzustellen. Die noch 1936 formulierte Vorgabe des SPD-Vorstands, unter keinen Umständen mit den Kommunisten zusammenzugehen, verurteilte er scharf. Immerhin war diese (gegenseitige) Verweigerung von SPD und KPD einer der Gründe dafür, dass die Nationalsozialisten so problemlos die Macht hatten an sich reißen können, da es keine geschlossene Arbeiterbewegung gegeben hatte, die sich ihnen hätte entgegenstellen können. Doch aus der Einheitsfront, die Reuter im Exil propagierte, wurde nichts, und auch der Deutsche Freiheitsbund, den er 1943 mit anderen Türkei-Exilanten initiierte, hatte keinen rechten Erfolg. Ziel des Bundes war es, den deutschen Flüchtlingen eine gemeinsame Stimme zu verleihen, um mit ihrer Hilfe den Deutschen in Deutschland klarzumachen, dass sie gewillt seien, sich am Neuaufbau des Landes zu beteiligen. Reuter war überzeugt:
Es kann nicht anders sein, als dass ein solcher Appell, eine solche Sammlung des besseren Deutschlands, wenn sie auf einer breiten Front, getragen von dem einheitlichen Willen vorurteilsloser und aufrichtiger deutscher Patrioten, erfolgt, ihre Wirkung in Deutschland haben muss. 58
Um dieser Botschaft Gehör zu verschaffen, bat er Thomas Mann um Mithilfe. Dieser zeigte sich jedoch skeptisch und wollte sich insbesondere nicht mit jenem „deutschen Emigranten-Patriotismus“ identifizieren, den er in den Bemühungen des Bundes zu spüren meinte. 59
Obwohl der amerikanische Geheimdienst Interesse am Freiheitsbund hatte und Kontakte zu einigen seiner Mitglieder aufbaute, die zugleich OSS-Agenten waren, blieben die Aktivitäten der deutschen Professoren in der Türkei weitgehend erfolglos. Auch aus Reuters Vorhaben, eine Zusammenarbeit des Deutschen Freiheitsbundes mit dem |105| Council for a Democratic Germany zu etablieren, wurde nichts. Immerhin nahm der Entwurf einer deutschen Nachkriegsordnung, den sozialdemokratische und bürgerliche Mitglieder des Freiheitsbundes gemeinsam formulierten, in einigem das Nachkriegsprogramm der SPD vorweg, indem er „jenseits der alten Klassenkampfrhetorik für eine gemischte Wirtschaft und ein pluralistisches politisches System eintrat“. 60
Widerstand vom Schreibtisch aus
Parallel zu den organisierten Aktivitäten der Exilparteien und den Bemühungen neugegründeter Kreise und Gruppierungen versuchten etliche Einzelpersonen, vom Exil aus den Widerstand in Deutschland zu fördern und Einfluss auf die Gestaltung der Deutschlandpolitik des jeweiligen Exillandes zu nehmen. Ein Zentrum solcher Überlegungen war das Institute of World Research, das 1943 an der New School for Social Research gegründet wurde. Hier schrieb der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel (geboren 1898 in Köln, gestorben 1975 in Berlin) ein Buch über
Military Occupation and the Rule of Law
, der Verwaltungsexperte und Politologe Arnold Brecht
Weitere Kostenlose Bücher