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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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seine eigene Befreiung so bitterlich erhoffte: Die Frage nach Glories letzter Stunde. Nur Christie und sie allein konnte sie beantworten: Die letzte Stunde!
    Christie hockte in seinem Lehnstuhl, die Augen schienen geschlossen, das Gesicht schmäler geworden, fast durchsichtig, ihr Körper zart, knochig, wie der eines heranwachsenden Mädchens. Und doch war das kein Mädchenkörper, auch nicht der einer reifen Frau, vielleicht der Körper eines Menschen, der sich verloren hatte, vergessen irgendwo. Ihre Brust hob und senkte sich. Schlief sie? In seinem Lehnstuhl, dieses alte, großväterliche Möbel, ein Erbstück, mehrmals neu bezogen, ihm vorbehalten, ein Teil von ihm, zu groß für den schmalen Frauenkörper, der in ihm verschwand. Er sah sie an, als sie die Augen aufschlug:
    »Ich hätte nicht herkommen sollen, ich weiß, ich erschrecke Dich. Die Vergangenheit, sie ist noch so nah, wenn ich hier bin, Glorie ist noch hier. Warum lässt Du sie nicht gehen, Albert? Man sagt doch, wir sollen den Toten ihren Frieden geben. Und damit uns selber. Ich weiß heute, dass ich nach Afrika gegangen bin, um zu vergessen, loszulassen, ein neues, anderes Leben zu beginnen. Eine neue Hoffnung zu finden, ohne die wir nicht atmen können.«
    »Und hast Du sie gefunden?«
    »Ja, ja, doch, endlich . . . Der Anfang war schwer, die ersten Monate waren die reinste Qual, Tag für Tag wollte ich zurück, bei ihr sein, obwohl ich wusste, dass sie nicht mehr da ist. Aber wenigstens ihren Plätzen nahe, ihre Luft atmen, hier, vor allem oben im Wallis, an dem Ort, wo wir so glücklich waren, unbeschwert, Du auch. Ich wollte die Erde riechen, Blumen pflanzen, mich auf die Wiesen legen, wenn die Sonne scheint. Aber dann hat mich die Wirklichkeit doch endlich eingefangen, das Lachen der Kinder, die Kranken, die mich verzweifelt anschauten, die Augen, die ich schließen musste. Jeden Tag, jede Stunde, viele Nächte. Du veränderst Dich, gehst auf in einer größeren Welt, wo der Mensch freier ist als hier, weniger mit sich selbst beschäftigt, weniger mit Angst verhaftet, ich glaube, weil Gott näher ist.«
    Albert setzte sich auf, strich seine Haare zurück:
    »Jetzt bist Du hier! Gibt mir etwas Zeit, warte ab, ich werde mich freuen. Und ich denke, Du bist nicht mehr das kleine Mädchen, das mit uns in die Berge ging, Du bist nicht mehr Glories Zwillingsschwester, das warst Du einmal, Du bist nicht mehr ihr Schatten in schönen und schweren Tagen, Du bist nun die Afrikanerin, die Samariterin, ich bin ein alter Mann und Glorie ist seit zweieinhalb Jahren tot.«
    Christie stand auf, zog ihr Kleid glatt, dehnte sich für einen Augenblick. Ihr Körper schien zu wachsen, an Umfang zuzunehmen, ihre Haare erhielten einen Glanz, den Glanz von früher. Daran erinnerte er sich, es war fast die Farbe wie die von Glorie, zum Verwechseln ähnlich, die Haare ineinander verwoben, wenn die beiden Kinder eng umschlungen im Bett lagen, schon im Schlaf, nicht wissend, was auf sie zukommen würde.
    Sie ging zum Fenster, sah zum Garten hinaus:
    »Sieh, es hat angefangen zu regnen, für uns in Afrika immer etwas Besonderes. Ein Garten wie in Wasser getaucht. Das Wasser! Was Ihr zu viel habt, haben wir da unten zu wenig. So ungleich ist die Welt.«
    »Keine Wanderung durchs nasse Gras? Schade. Du könntest barfuß gehen.«
    Albert hatte sich aufgesetzt, während sie sich wieder zu ihm wandte:
    »Du lebst immer noch mit einem Fuß in der Vergangenheit.«
    »Ich denke viel an damals, an Euch, wie Ihr Kinder mir dann erklärt habt, ich müsse Euch ab sofort als junge Damen behandeln. Damals haben wir viel gelacht, daran denke ich. Darf ich das nicht? Am Ende des Lebens schaut man zurück, ich erinnere mich an Vieles, aus meiner Jugend, Kindheit, besser als an das, das dazwischen war.«
    Er sah auf ihren Körper: Wie verändert sie war, eine Frau, eine schöne Frau, trotz ihrer ersten Falten im Gesicht und dem ernsten Blick. Es war ihm, als habe er lange keine Frau mehr gesehen.
    Später saßen sie am Mittagstisch, Irma, die sich offensichtlich über Christies Anwesenheit freute, hatte Fisch besorgt, Albert bat sie, eine Flasche Weißen aus dem Keller zu holen. Als Irma das Haus verlassen hatte, nahm Christie seine Hand, der Wein hatte ihre Stimme gelöst:
    »Ich habe mir lange überlegt, ob ich zu Dir kommen sollte, ich bin ja schon länger wieder zurück, schon über eine Woche, wohne hier bei meiner Mutter auf dem Land. Es war an der Zeit. Du, Albert, warst wie ein

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