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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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Vater für mich, ein Ziehvater, und ein Ziehvater ist für ein Ziehkind vielleicht sogar etwas Wertvolleres als der eigene Vater. Ein Kind kann seinen Vater nie verlieren, ein Ziehkind sehr wohl, es muss sich ständig bemühen, auf sich aufmerksam machen, wenn es geliebt und nicht vergessen werden will.«
    »Du warst sehr lebhaft, ich erinnere mich bestens. Manchmal dache ich, Du wolltest Glorie übertrumpfen.«
    »Ich sehnte mich nach Dir, nach dem Vater, den ich nie gehabt habe, schlimmer noch, nach dem Vater, der den wirklichen Vater vergessen machen musste. Und ich wollte wie Glorie sein und an Deinem Hals hängen. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie oft ich zerfressen von Eifersucht auf sie war, auf Deine Liebe zu ihr, auf Euer stilles Einverständnis und Eure geheimen Blicke, die für niemand anderen bestimmt waren. Ich musste sie übertreffen mit meiner Liebe.«
    »Ich erinnere mich, Du zeigtest mir Deine langen Beine, hast mich sogar gefragt, ob sie nicht die schönsten seien. Ein anderes Mal kamen die Haare dran. Ich musste Dich bewundern.«
    »Und am Ende warst Du so ausgeschlossen wie ich. Ich wusste von Deiner Ohnmacht, von Deiner Verzweiflung. Glorie wollte Dir alles ersparen und hat Dir dadurch vielleicht Schlimmeres zugefügt. Ich war mir bewusst, was wir Dir angetan haben. Ungewissheit ist etwas Grässliches! Da muss Dein ganzer Vorwurf nur mich treffen! Deshalb floh ich vor Dir und vor ihrem langen Schatten, der mich gefangen hielt. Hals über Kopf, war unfähig, meine Sachen richtig zusammenzupacken, auf Wiedersehen zu sagen, kam unten an mit Lippenstift und einem Koffer voller Bücher. Die Bücher immerhin konnte ich gebrauchen. Wie lange Zeit war ich dort, bis ich meinen Platz fand, das Schlimmste war, ich verstand erst nichts, ich verstand mich nicht. Aber ich biss mich durch, verlor fünfzehn Kilo, bis mich kein Mann mehr anschaute, ich merkte es nicht einmal. Meine Flucht vor Glorie war auch eine Flucht vor Dir. Ich wusste, Du würdest es mir nie verzeihen, dass ich sie nicht gerettet habe, meine Unfähigkeit, mein Versagen: Ich war zu schwach, ich konnte es Dir nicht sagen, Dir sagen, wie es wirklich gewesen ist am Ende: Meine Ohnmacht, Glories Sturz aufzuhalten. Ich konnte Dir weder in die Augen sehen noch ertragen, dass ich nicht nur meine geliebte Schwester, sondern auch meinen Vater verlieren würde.«
    Albert hatte sich wieder hingelegt, die Füße ausgestreckt, er atmete schwer, seine Augen nahmen die Wanderung hoch oben an der Decke wieder auf:
    »Deine Liebe zu mir, von der Du sprachst, war die Wahrheit nicht wert. Du hast mich verkauft. Ihr habt mich verkauft. Aber Du warst bei Sinnen und du hast mich . . .«
    Seine Stimme erstarb. Sie schwiegen immer noch, als es endlich dunkel wurde. Albert schien eingeschlafen zu sein, sie hockte am Boden vor dem Fenster. Sie vernahm ihn aus der Ferne:
    »Geh jetzt, ich will schlafen.«
    Mitten in der Nacht erwachte der alte Mann, er hörte seine zittrige Stimme:
    »Warum erlaubst Du mir nicht in den erhabenen Kreis Deiner Gnade einzutreten? Warum versagst Du mir das? Bin ich noch immer in Deiner Schuld? Warum wächst mein Schuldenkonto, wo ich mich doch bemühe, es endlich abzutragen? Manchmal denke ich, vor dem inneren Bankrott zu stehen. Du klagst mich an, aber ich glaube an Dich. Wer nicht an Dich glaubt, ist verstoßen. Und ich bitte, bettele Dich an, bei Dir eintreten zu dürfen. Um die Erlaubnis zu erhalten, sterben zu können. Das Einzige, was ich liebte, viel mehr als mich selbst, war sie. Du hast mir das Leben genommen und mich doch weiter leben lassen. Du hast sie mir genommen, weil Du diesen Engel für Dich haben wolltest: Güte? Und dafür soll ich Dir nun ewig dankbar sein? Aber ich will vor Dir nicht lügen: Ich bin Dir nicht dankbar, nein ich bin es nicht. Und ich vermag nicht die Gnade hinter Deinem Fluch zu erkennen. Du siehst, ich gebe Dir für meine Wahrheit Deine Gnade.«
    Er erhob sich schlaftrunken von seinem Kanapee, trippelte durch das hell erleuchtete Haus nach oben. Bleierne Müdigkeit lag auf ihm. Als Albert am nächsten Morgen zu sich kam, war es schon hell. Mit einem Mal fühlte er sich erfrischt wie schon lange nicht mehr, warf die Bettdecke zur Seite, stellte überrascht fest, dass er völlig nackt war. Wer hatte ihn ausgezogen?
    Die beiden, schoss es durch seinen Kopf, sind ihren Weg gegangen ohne mich, ohne sich nach mir umzudrehen. Alles war Tändelei, und als es ernst wurde, schalteten sie ihn aus, hatten keinen

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