Reise zu Lena
Platz mehr für ihn. Warum sah er das jetzt erst, es war doch so offensichtlich und klar? Sie waren ihren Weg gegangen, er musste jetzt seinen Weg gehen, allein, ohne sie. Das machte alles einfach. Er fühlte sich gut, noch einmal ein Anfang. Er ging im Morgenmantel hinunter, ohne wie sonst im Bad gewesen zu sein. Sein Schritt war fest, wie lang nicht mehr. Er klatschte mit den Händen, suchte nach einer Melodie.
In der Küche war Frühstück für zwei gedeckt. Was sollte das? Er sah Irma fragend an. Sie zeigte ein unwirsches Gesicht, musterte ihn mit feindlichen Blicken:
»Was ist passiert? Wir haben einen Gast und Sie lassen ihn auf dem Boden schlafen, nicht einmal eine Decke haben Sie rausgesucht. Der Engel opfert sich dort unten für die Armen und Kranken und Sie leben hier im Überfluss. Ich sage Ihnen, Herr Direktor, in einem solchen Haus mag ich nicht bleiben!«
Albert starrte Irma fassungslos an, noch nie hatte sie einen solchen Redeschwall von sich gegeben. Sie schob einen Stuhl mit einem heftigen Ruck in seine Kniekehlen, stellte die Kaffeekanne krachend auf den Tisch, als Christie fast lautlos den Raum betrat. Man sah, dass sie aus dem Bad kam, ihre Haare glänzten noch vom Wasser. Albert wollte aufspringen, sie drückte ihn sacht auf seinen Stuhl zurück und saß schon neben ihm. Sie sah putzmunter aus.
»Entschuldige, aber ich wusste doch gar nicht, dass Du noch hier bist, ich dachte, Du seist am Abend gegangen. Ich muss mich wohl entschuldigen.«
Sie strich sich die Haare zurück, Irma stand immer noch drohend hinter ihr:
»Mir macht es nichts aus, auf dem Boden zu schlafen, das bin ich gewohnt, bei uns keine Seltenheit. Ich wollte Dich nicht alleine lassen. Jetzt habe ich mich geduscht, Ann erfährt wohl besser nichts von dem Missbrauch ihres Bades.«
»Wo Sie doch abgewartet haben, bis Ann abgereist war«, warf Irma misstrauisch ein.
»Ja, das stimmt, ich wollte mit Dir allein sprechen, Albert. Du weißt, mein Verhältnis zu Ann ist schwierig«
Während sie von Alberts Zwieback aßen und Kaffee schlürften, hörten sie Irma oben rumoren. Albert lauschte angestrengt, er wusste nichts zu sagen, Christie sah ihn lächelnd an:
»Nun, Du siehst erholt aus, hast Du gut geschlafen?«
»Du auch, Christie.«
»Etwas sonderbar nach der Nacht.«
»Ja, sonderbar . . . Du hättest sehr gut in Glories Zimmer unter dem Dach schlafen können, Du kennst schließlich den Weg und das Bett ist immer bereitet. Vielleicht möchtest Du . . .«
Christie griff seine Hand:
»Nein, ich bleibe nicht noch eine Nacht. Ich habe andere Pläne mit Dir. Hör zu, ich möchte Dich mitnehmen, ja, so ist es, und gleich heute: Und keine Widerrede! Ich bin nur noch wenige Tage im Lande und die sollten wir nutzen. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen! Wir packen ein paar Sachen zusammen und fahren für einige Tage zu uns raus, aufs Land, wo Mutter lebt. Die Luft, die Natur wird Dir gut tun. Und vor allem: Wir werden reden! Ganz abgesehen von einer neuen Umgebung. Du wirst auf andere Gedanken kommen.«
Sie hatte ihn überrumpelt, aber nicht überzeugt. Albert konnte sich gar nicht erinnern, wann er zuletzt außer Haus geschlafen hatte. Einmal ein Besuch in einer anderen Stadt, zu einem kurzen Museumsbesuch, in ein Restaurant bei einem besonderen Anlass, einmal im Jahr zur Christmette, dann zwei, drei Mal in die Philharmonie, nicht mehr. Anton hatte sie in seinem geräumigen Wagen mit hinaus genommen zu seiner Jagdhütte, aber Ann hatte jedesmal darauf bestanden, abends wieder in ihrem gewohnten Bett zu schlafen. Der letzte Urlaub lag Jahre zurück, Ann fürchtete, er könnte sich übernehmen.
»Nein, nein, das kommt überhaupt nicht in Frage.«
Und was würde Ann sagen? Sie würde entsetzt sein, nein, das könnte er der Armen, die ohnedies im Moment geprüft genug war, nicht antun. So argumentierte er mit seltenem Temperament.
Doch Christie hielt dagegen, wollte nichts anderes als ihren Plan, der sich nun einmal in ihrem Kopf festgesetzt hatte, gelten lassen, erhob sich entschlossen, jedes weitere Gerede beiseite schiebend, und ging mit Irma, die offenbar mit ihr im Bunde war, nach oben, um seine Sachen zusammenzupacken.
»Ich weiß genau, was der Herr braucht, besser als alle anderen«, ließ sie sich aus.
Von oben rief Christie hinunter, während er gebannt und im Protest auf seinem Stuhl ausharrte:
»Irgendeinen besonderen Wunsch? Ein Lieblingspullover oder sonst was? Wir haben aus Deinem Bad die wichtigsten Dinge
Weitere Kostenlose Bücher