Reise zu Lena
Lieber, das kann ich nicht. Wie soll ich das wissen, ob ich ein Traum oder die Wirklichkeit für Dich bin! Aber immerhin: Du kannst mich anfassen.«
»Ich fasse Dich an, ich umarme Dich, ich halte Dich fest, Lena. Aber niemand sagt mir, ob ich träume oder nicht. Ich glaube, Du bist ein Traum, Lena.«
Sie schiebt ihren Kopf zur Seite und sieht in seine Augen.
»Ich bin Wirklichkeit. Aber es stört mich nicht, wenn ich für Dich ein Traum bin. Nein, es stört mich überhaupt nicht. Und es stört mich auch nicht, Dir jetzt einen Kuss zu geben, den ich schon vor hundert Jahren mir erträumte.«
Lange stehen sie eng umschlungen, sie, die sich für ihn so leicht wie eine Feder gemacht hat, ihr Mund auf seinem Mund, bis seine Beine nachgeben und sie zu Boden gleiten.
Er steht verschwitzt, nur mit einer Schlafanzughose bekleidet, mit zittrigen Gliedern und sieht im Spiegel einen Mann, den er nicht kennt. Ein Fremder sieht ihn an. Aber der Fremde, der ihn verwundert anschaut, beunruhigt ihn nicht. Ja, er glaubt, er kann Gefallen an der Gegenwart des Fremden finden. Lena hat ihm noch im Wohnzimmer seine Schuhbänder gelöst, die Knöpfe seines Hemdes geöffnet, wie die seiner Hose. Wie er es liebt, wenn sie ihn wie ein Kind umhegt.
Albert tapst die wenigen Schritte in sein kleines Schlafzimmer hinüber. Er sieht im dunklen Raum durch das Fenster in den vom Mondlicht hell erleuchteten Garten. Die kleinen Tannen und Büsche werfen Schatten mit scharfen Kanten auf die Wiese. Dazwischen bewegt sich eine Geistergestalt hin und her, hebt die Arme nach oben wie eine Priesterin aus vergangenen Zeiten, dreht sich im Tanz, einige Schritte nur, wiederholt schwungvoll die Schritte, die sie soeben mit ihm getanzt hat. Er starrt atemlos mit offenem Mund auf die Erscheinung, nur durch ein dünnes Glas getrennt, die nach und nach ihre Kleider vor seinen ungläubigen Augen verliert. Das Bild flimmert wie in einem alten Film aus der Zeit, als es noch keinen Ton gab und der im nächsten Augenblick zu zerreißen oder zu verbrennen droht. Er erblickt durch das weite Hemd ihre Umrisse, dann gibt die Frau seinen sehnsüchtigen Blicken ihren Körper frei. Oh gütiges Mondlicht, fahl und hell, wenn sich die dunklen Wolken endlich verzogen haben. Schon die Silhouette, aber ihre nackten Füße, Beine, die Hüften, der Leib, ihre Schultern, ihre Brüste, der Hals! Zum Fassen nahe! Wie schlank, wie mädchenhaft sie ist! Als er seine Arme nach ihr ausstreckt, verschwindet ihre Gestalt ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war. Die Stirn ans Glas gelehnt, suchen seine Augen vergeblich den nächtlichen Garten im Mondlicht ab, dunkle Schatten legen sich draußen nieder, die Herrscherin der Nacht hat sich verfinstert. Noch wenige Schritte nur und er streckt sich auf dem Bett aus, mit müden Gliedern, die keine Ruhe geben wollen. Vor Glück, denkt er. Nach wenigen Minuten umarmt ihn ein tiefer Schlaf, der ihn so schnell nicht loslassen will.
Später in der Nacht glaubt er zu fühlen, wie ein warmer Körper sich an seinen schmiegt, weich, sanft, ein Hauch fällt über sein Gesicht, eine kleine Hand, eine Frauenhand, eine Mutterhand schiebt sich über seinen Mund, tastet sich hoch zur Stirn, zu den geschlossenen Augen, gleitet vorbei an den Ohren über seinen Hals zu seiner entblößten Brust, verfängt sich in den Haaren, streichelt die Seite, seine Hüften und liegt endlich auf seinem gewölbten Bauch, der aufgehört hat, sich mit seinem Atem von oben nach unten zu senken.
So liegen sie lange, dicht nebeneinander, wortlos, Körper neben Körper, Haut an Haut. Wagen kaum zu atmen, rühren sich nicht bis auf ihre Hand, die immer wieder beginnt, ihn zu liebkosen. Endlich dreht er sich ihr zu, drückt sie dicht an sich, bis er innehaltend wie unauflösbar sich mit ihr verbunden fühlt.
Am nächsten Tag erwacht Albert spät. Sie ist verschwunden. Auf dem Frühstückstisch liegt eine Nachricht, sie sei in die nahe Kreisstadt gefahren, er solle sich keine Sorgen machen, da sie am späteren Vormittag schon wieder zurück sei. Und dahinter steht schwarz auf weiß in ihrer klaren Schülerinnenschrift: . Obwohl überrascht, beruhigen ihn die beiden letzten Worte am Ende des Briefleins so sehr, dass er zu singen beginnt und mit tänzerischen Schritten im Haus hin und her eilt. Aber wie hilflos seine Bewegungen doch sind! Ohne sie fühlt er sich wie gelähmt, ein Krüppel. Der Abend, vor allem die späten Stunden, steht ihm von Minute zu Minute mehr und
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