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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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scheint Ann ihre Ausgeglichenheit zurückzugeben:
    »Weiß Albert eigentlich von unserem Treffen?«
    Jetzt sucht Lena in ihrer dicken Handtasche:
    »Wo er jetzt ist? Nein, Albert weiß von nichts. Sollte er? Es geht ihm gut . . . Aber ich wollte Ihnen etwas geben, einen Notizzettel von Glorie. Glorie hatte ja die merkwürdige Angewohnheit, ihre Gedanken auf kleine Papierfetzen zu notieren, merkwürdig, weil sie die Zettel dann achtlos auf den Boden fallen ließ, als hätte es sie nie gegeben. Christie hat einen ganzen Karton davon aufbewahrt. Sie bat mich, Ihnen diesen hier zu übergeben.«
    Ann ergreift blitzschnell das Stück Papier, das Lena ihr entgegenhält, überfliegt in Windeseile den kurzen Text:
    Ich will nicht alleine sterben. Ich habe Angst zu leben und Angst zu sterben. Ich lebe im Niemandsland zwischen Leben und Tod, wie in einem steckengebliebenen Aufzug, in dem die Luft ausgeht.
    Ohne ein weiteres Wort lässt sie den Zettel in ihrer Handtasche verschwinden. Sie sieht Lena fest an:
    »Ich habe auch etwas für Sie: einen Brief für Albert. Wollen Sie ihn . . .«
    »Sie können ihn ihm auch selbst geben. Warum nicht! Es ist nicht weit von hier.«
    Lena sieht, wie Ann der Atem stockt. Wie sicher fühlt sich Ann? Ist sie sich Alberts so gewiss, wie sie jetzt auftritt? Also doch: Eine Rivalin?
    »Auf keinen Fall!«, unterbricht Ann Lenas Gedanken. »Bitte nehmen Sie den Brief! Ich würde ihn nur erschrecken, wenn ich so plötzlich, so unvorbereitet bei Ihnen draußen auftauchen würde. Wann glauben Sie, Lena, wird er zurück in die Stadt kommen? Hat er etwas über seine Pläne gesagt? Er war in unseren Telefonaten sehr einsilbig. Telefonieren war nie seine Stärke. Was meinen Sie?«
    Ann strahlt sie an.
    Lena sitzt zurückgelehnt, sie winkt einem Paar zu, das die Hotelhalle durchquert:
    »Ich bitte Sie, Ann, was erwarten Sie von mir! Ich würde mich niemals erdreisten . . . Albert ist Ihr Mann! Ich habe mich niemals in die Beziehung anderer in meinem Leben eingemischt, in eine Ehe schon gar nicht. Das ist nicht meine Art. Das ist eine Frage, die nur Sie und Albert etwas angeht, meinen Sie nicht auch?«
    »Sicher, sicher. Sie haben recht. Es hätte ja sein können, dass Sie . . .«
    Ann stockt. Sie beobachtet Lenas Gesicht, das, wie sie meint, einen listigen Ausdruck angenommen hat. Schon wieder grüßt sie jemand, der die Halle des kleinen Hotels durchquert. Ist dies nun wirklich notwendig? Will Lena vielleicht provozieren, sie aus der Reserve locken:
    »Hören Sie mir eigentlich zu, meine Liebe?«
    Dies hätte sie nun doch nicht sagen sollen, schießt es Ann durch den Kopf. Klingt nicht ein Vorwurf durch? Und überhaupt: Meine Liebe?! Nein, das ist offensichtlich nicht ihr Tag! Das hört sich wie verzerrt an oder schlimmer: Mit einem Unterton von Hohn. Genauso hat sie heute nicht auftreten wollen, ganz im Gegenteil. Sie verspielt offensichtlich ihre Chance. Aber wie könnte es auch ihr Tag sein! Erst der leidvolle Tod ihrer einzigen Schwester, dann die jähe, völlig unerwartete Zumutung, dass ihr Mann, wenn sie ihn einmal braucht, das Haus verlassen hat.
    Sie vernimmt wie in weiter Ferne Lenas Stimme:
    »Ich glaube, Ann, Sie sind es, die nicht zuhört! Ja, die Gedanken . . .«
    »Die Gedanken . . . Sie haben recht, Lena! Und . . . Und wie geht es Albert eigentlich? Ich vergaß zu fragen . . .«
    »Die Landluft! Ich glaube, die Landluft . . .«
    »Ach so! Ja, natürlich die Landluft, ja, die wird ihm gut tun.«
    Wenige Augenblicke später stehen die beiden Frauen zwischen dem polierten Mercedes und dem alten Ford auf der Straße. Es kommt zu keiner weiteren Umarmung. Aber zu einem kurzen Lächeln von beiden und einem langen Händedruck. Ann denkt: Was wird Lena Albert über ihr Treffen berichten? Und Lena? Er wird wieder zu ihr zurückgehen, geht es ihr durch den Kopf. Und: Er ist ein anständiger Mann. Deshalb liebe ich ihn. Aber muss er wirklich anständig sein? Ich könnte es ihm verzeihen.
    Als Lena in die Einfahrt zu ihrem Haus fährt, hat sie längst beschlossen, ihm den Brief nicht gleich, nicht heute zu geben. Was auch immer darin stehen mag, sie will sich auf keinen Fall auch noch den Rest dieses wertvollen Tages von Ann stehlen lassen. Unterwegs hat sie eine Flasche Champagner gekauft. Sie sucht ihn überall. Wo ist Albert? Die Tür steht offen, er kann nicht weit sein. Doch im Haus und Garten findet sie ihn nicht. Auch keine Nachricht, nichts. Ob er vielleicht ihre plötzliche Abwesenheit

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