Reise zum Rand des Universums (German Edition)
was ich wollte, wann ich wollte, und vor allem: falls ich überhaupt wollte. Wenn ich einen Monat lang nichts berichtete, kamen die 500 Franken trotzdem, Herr Friedrich oder Herr de Haas, im fernen Berlin, waren nicht im Geringsten beunruhigt, denn sie konnten sich nicht vorstellen, dass in der Schweiz überhaupt je etwas geschah. Gar etwas Kulturelles. Es war ja auch wenig, wenigstens in meiner Wahrnehmung. Ich kann mich an eine Zuckmayer-Uraufführung in Luzern erinnern, sonst an nicht viel. Mein Engagement endete dann abrupt, als ich über den Literaturstreit zwischen Emil Staiger und Max Frisch berichtete, dessen Echo auch ohne mich bis in den deutschen Norden gedrungen war und bei dem, in meiner Darstellung, Emil Staiger nicht gut wegkam. (Dabei hatte der das gar nicht so wild gemeint. Er wollte einfach einmal so richtig losschimpfen über diese blöde neue Literatur voller Schmutzfinken.) Mein Artikel wurde nicht gedruckt, und ich war meine Stellung und die 500 Franken los.
Trotzdem hatte ich nun so viel Geld beisammen – zum ersten Mal in meinem Leben so viel! –, dass ich mir ein Auto kaufen konnte, einen gebrauchten himmelblauen 2CV , den ich auf Anhieb so liebte wie ich einst meine Vespa geliebt hatte. Im Winter sprang der Motor nur an, wenn ich ihn mit einer Handkurbel anwarf. Das brauchte Kraft, und ich kam ins Schwitzen, auch wenn die Atemluft klirrte. Bei den ersten drei oder vier Versuchen verendete der Motor regelmäßig nach ein paar wenigen Zündversuchen, die wie Schüsse aus einer Kapselpistole klangen. Endlich schaffte ich es doch, ums Auto herumzurennen und mit meinem rechten Fuß rechtzeitig zum Gaspedal zu kommen, um den Motor an einem weiteren Verröcheln zu hindern. Ich bediente, zart wie ein Chirurg, mit einer Hand den Choke und mit dem Fuß das Gas. Auch jetzt das Röcheln, Stottern, Zögern. Der Schweiß rann mir über die Augen. Aber dann heulte der Motor auf! Als ob Nüsse vom Baum prasselten oder als ob einer Kieselsteine in einer Blechbüchse schüttelte. Ich fuhr los und schaltete die Gänge schneidig. Im Flachen kam ich auf glatte 80 km/h. Schon mit 70 löste sich zuweilen – auch und gerade bei Regen! – das Verdeck aus seiner Halterung und flatterte wie eine Fahne über dem Auto. Jedes Mal erschrak ich entsetzlich, denn der 2CV klang jäh so, als habe er eben die Schallmauer durchbrochen. Ich hielt an – jeder, der mich sah, lachte herzlich – und befestigte die Dachplane erneut. – Auch hatte mein 2CV , wie alle Döschwos, Seitenfenster, die sich nach oben klappen ließen und an der Dachkante in zwei Gummilaschen einrasteten. Das war wunderbar, ich fuhr, wie alle 2CV -Fahrer, immer – oder jedenfalls im Sommer – mit einem offenen Fenster und legte den linken Ellbogen auf den Fensterrand. Allerdings hatte das Fenster die Neigung – ausgeleierte Laschen, lasche Nippel –, sich unvermittelt aus der Halterung zu lösen und nach unten zu krachen, auf meinen Ellbogen, der ein schmerzempfindlicher Teil meines Körpers war. Ich heulte auf und fuhr ein paar hundert Meter blind, weil ich Tränen in den Augen hatte. – Die Scheibenwischer liefen nur, wenn sich die Räder drehten, und rührten sich nicht von der Stelle, wenn das Auto stand. Auch wenn Regenfluten gegen die Windschutzscheibe schlugen.
In dieses Auto packte ich alle meine Dissertationsmaterialien und fuhr (einmal mehr) in die Provence, nach Gordes oder in die Nähe von Gordes, zu einem Haus, das Otto F. Walter gehörte (in ein paar Minuten erzähle ich von ihm) und wie ein Adlerhorst über einer Felswand stand. Ein Abgrund gleich neben der Haustür; und keinerlei Abschrankung. Ich richtete mich in dem beinah möbellosen Haus ein (ein einziger Raum mit einem Kochherd, einem Tisch, vier Stühlen, einer Matratze auf einem Schragen). Mauern aus Steinen, deren Quader auch von innen zu sehen waren. Es gab eine offenkundig neu gebaute schmale Empore aus Holz, zu der ich mit Hilfe einer leitersteilen Treppe hochsteigen konnte. Ich hatte zwei Schreibmaschinen mitgenommen, die ich nebeneinander auf den Tisch stellte. Vor jede einen Stuhl. Die eine Maschine war für den eigentlichen Text zuständig, die andere für die Anmerkungen. Meine Spielregel war: Ich schreibe jeden Tag, möglichst 14 Stunden lang, und ich schreibe jede Seite nur einmal. Ganz hielt ich mein Konzept nicht durch; aber so ziemlich. So dass ich recht flott vorankam. – Rings um mich, über den ganzen Boden verteilt, meine Exzerpte. Ich
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