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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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gleich mit meiner Arbeit in Frankfurt anfangen, während May noch in Lausanne blieb, weil sie einen Job hatte, den sie nicht einfach hinschmeißen konnte. So standen wir also einmal mehr vor einem abfahrbereiten Zug und küssten uns. Wieder stieg ich nicht mit ihr ein. Diesmal wollten wir es beide so. Der Zug fuhr ab. Ich sah ihm nach, bis seine Schlusslichter nur noch ganz fern leuchteten, und ging zum R4 .
    DER Urknall rückt näher. Mein Urknall: ein kleiner für die Menschheit, ein großer für mich. – Ich hatte, von Basel aus noch, in Frankfurt eine Wohnung gemietet, im Blindflug sozusagen, beraten von ich weiß nicht mehr wem. Sie lag im Westend, an der Unterlindau 69. Als ich, nach dem Abschied in Offenburg, die Wohnung betrat, die mich schlüsselfertig und besenrein empfangen sollte, fand ich im Korridor einen Mann vor, der, keineswegs im Blaumann oder so was, sondern in einem makellos hellen Anzug, auf einer Leiter stand und mit einem Rollpinsel die Decke über sich weißelte. Er hatte bislang so etwas wie einen Quadratmeter geschafft. Packpapier auf dem Boden, Farbkübel, eine halbleere Bierflasche. Der Mann strahlte mich von seiner Leiter her an, sein Name sei Bayer, er sei Hesse, ja, ha, sehr erfreut, sehr erfreut, Herr Widmer, die Sache sei so. Er stieg von der Leiter herunter. Er sei der Vormieter und habe nach der Auflösung seines Mietvertrags die Wohnung besenrein und schlüsselfertig zu übergeben, ja, eben, ich sähe es ja, er sei etwas im Verzug, heut Abend schaffe er es wohl kaum mehr, morgen aber beinah sicher. Ob ich ein Bier wolle? Ja? Am besten holte ich es im Trinkhäuschen gegenüber, und ich könne ihm gleich auch eins mitbringen. – Ich ging durch den Korridor und sah in die Zimmer hinein. Eine Baustelle. Schutt auf dem Parkett, dort ein einzelner Vorhang am Fenster, da eine einsame Kommode ohne Schubladen. In der Küche Essensreste neben dem Herd. Im Zimmer, das wohl das Schlafzimmer war (es wurde unser Schlafraum) stand, einfach so, eine Badewanne mit einem Holzofen, mit dem man offenkundig das heiße Wasser zubereiten musste, wenn man ein Bad nehmen wollte. Brennholz war allerdings keins da. Ja klar, sagte Herr Bayer, der, auch vorher schon redend, hinter mir dreingegangen war, der Ofen sei erstklassig, der Ablauf der Wanne allerdings sei irgendwo undicht, so dass das Wasser, wenn ich verstünde, was er meine, er gehe einmal pro Woche ins Schwimmbad Mitte, da seien die Duschen erste Sahne. Herr Bayer, weiterredend, packte die inzwischen leere Bierflasche in eine Ledertasche und rief, dann wolle er mal, na dann tschö, a domani. – Ich stotterte, wo ich denn jetzt unterkommen solle. – Ja, natürlich, gute Frage, er habe an den Speicher gedacht, da sei der Schlüssel, der Speicher sei seit Jahrzehnten besenrein, er gehe nie hinauf; und da solle ich es mir vorerst mal gemütlich machen. Jetzt müsse er aber wirklich. Weg war er.
    Ich machte es mir also im Estrich gemütlich. Ein Boden aus Holzplanken, rechts und links das Dach, schräg zum Firstbalken hochragend. Dunkle Ziegel. Ich musste nicht gerade kriechen, schiefer Kopf reichte an den meisten Orten; aufrecht stehen konnte ich nur in der Mitte des Raums. Eine Luft aus Staub. Ein Kippfenster im Dach, eine Luke, die ich aber geschlossen hielt, weil es regnete. Eine Glühbirne, die an einem Draht vom Dachbalken herabbaumelte. Es war kalt, eine Heizung gab es nicht. Ich schleppte mein Zeug hoch, das, was ich brauchte. Ich hatte tatsächlich meine Luftmatratze in die erste Fuhre gepackt! Die Schreibmaschine, natürlich auch meine Schreibmaschine. Sie stellte ich auf eine militärgraue Holzkiste, die, neben einer ähnlichen, unter den schrägen Ziegeln stand und die ich unter die Glühbirne schob. Einen Hocker gab es auch, das einzige Möbelstück im ganzen Estrich. Es war nicht gerade gemütlich, aber es war besser als nichts. – Ich ging ja auch zur Arbeit, und an den Abenden gesellte ich mich Herrn Bayer zu – half ihm aber nicht –, der mit seinen Malarbeiten im Tempo Tintorettos vorwärtskam, der bekanntlich für seine Passionsbilder in der Scuola Grande di San Rocco ein ganzes Leben gebraucht hatte. Und Herr Bayer war noch jung! Dass ich ihm zuweilen ein Bier mitbrachte, half auch nicht viel. Im Gegenteil. Er konnte reden, auch während er schluckte. Ich versuchte sogar, ihn sympathisch zu finden. Schließlich war ich ein Fremder, und es konnte sein, dass alle Hessen wie Herr Bayer waren und ich mich besser gleich mit ihrer

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