Reiseführer Barcelona
beide Seiten gewöhnten sich in drei langen Jahren an ein Leben im Chaos.
Fast ein Jahr herrschten in Barcelona Anarchisten und die trotzkistischen Milizen des Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM; Vereinigte Marxistische Arbeiterpartei) – Companys war nur dem Namen nach Präsident. Fabrikbesitzer und Franco-Anhänger mussten aus der Stadt fliehen. Die Gewerkschaften übernahmen Fabriken und den öffentlichen Dienst; in Hotels und Herrenhäusernrichteten sie Krankenhäuser und Schulen ein. Jeder trug Arbeitskleidung, Bars und Cafés gehörten dem Kollektiv, Straßenbahnen und Taxis leuchteten in Rot und Schwarz (den Farben der Anarchisten), und keiner beachtete mehr Einbahnstraßen, weil sie als Teil des verhassten alten Systems galten.
Zu den Anarchisten zählten die verschiedensten Gruppierungen, von sanften Idealisten bis zu Hardlinern, die Todeslisten aufstellten, Femegerichte abhielten, Priester, Mönche und Nonnen erschossen (über 1200 Geistliche wurden in der Provinz Barcelona während des Bürgerkriegs getötet) und Kirchen niederbrannten und zerstörten: Deshalb wirken viele der Kirchen Barcelonas im Inneren heute so kahl. Die Anarchisten wiederum mussten nach einer mörderischen Schlacht mit 1500 Toten im Mai 1937 den Kommunisten weichen, die von Stalin aus Moskau gelenkt wurden.
Im Herbst 1937 wurde Barcelona zur republikanischen Hauptstadt erklärt, aber die Niederlage der republikanischen Truppen in der Schlacht am Ebro in Südkatalonien im Sommer 1938 machte Barcelona nahezu wehrlos. Der republikanische Widerstand bröckelte, teils aus Erschöpfung, teils wegen interner Streitigkeiten. 1938 nahmen katalanische Nationalisten separate Verhandlungen mit Francos Falange auf. Die Letzten, die den Widerstand in Barcelona aufrechterhielten, waren jene 2000 Kämpfer der 5. Brigade, die lange Zeit heldenhaft in Madrid gekämpft hatte. Am 25. Januar 1939 fiel Barcelona in die Hand Francos.
BÜCHER ZUR GESCHICHTE BARCELONAS
Barcelona, Stadt der Wunder (Robert Hughes)
Barcelona – A Thousand Years of the City’s Past (Felipe Fernández Armesto)
Barcelona – Eine Stadt erfindet die Moderne (Eduardo und Cristina Mendoza)
Mein Katalonien (George Orwell)
Huldigung an Barcelona (Colm Tóibín)
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BESATZUNG
Das erste Jahr der Besetzung war zunächst eine merkwürdige Übergangsphase, ehe die Unterdrückung voll einsetzte. Nur zwei Wochen nach dem Fall der Stadt hatte bereits ein Dutzend Kinos wieder geöffnet und im Monat darauf wurden Hollywood-Komödien im Wechsel mit nationalistischen Propagandafilmen gezeigt. Die Menschen wurden sogar dazu ermuntert, den katalanischen Nationaltanz Sardana öffentlich zu tanzen – eine scheinheilige Großzügigkeit der neuen Herren, um sich bei möglichst vielen Bewohnern von Barcelona beliebt zu machen.
Andererseits bot die Stadt ein Bild der Erschöpfung. Zwar funktionierte das U-Bahnnetz noch, aber es gab keinen Busverkehr, weil alle Busse an der Front eingesetzt wurden. So gut wie alle Tiere im städtischen Zoo waren entweder verhungert oder verletzt. Jahrelang kam es ständig zu Stromausfällen.
1940, als der Zweite Weltkrieg bereits überall in Europa wütete, hatte sich das Franco-Regime einigermaßen stabilisiert und für viele Katalanen brachen finstere Zeiten an. Katalanische Franco-Anhänger trieben massenweise Menschen zusammen, um sie standrechtlich zu erschießen. Die Zahl dieser Opfer wird auf 35 000 geschätzt. Zur gleichen Zeit kämpften republikanische Widerstandsgruppen in den Pyrenäen noch eine Weile gegen die Falange. Im August 1940 wurde Lluís Companys von der Gestapo in Frankreich verhaftet, an das Franco-Regime ausgeliefert und am 15. Oktober auf dem Montjuïc erschossen. Er soll gestorben sein mit dem Ruf: „Visca Catalunya!“ (Es lebe Katalonien!)
All die Erschießungen setzten sich bis in die 1950er-Jahre hinein fort. Die meisten Einwohner Barcelonas versuchten, sich der Situation anzupassen, andere nutzten sie zum eigenen Vorteil, zum Beispiel, indem sie Wohnungen der geflüchteten „Roten“ besetzten. Zahlreiche Spekulanten und Unternehmer arrangierten sich aber auch bestens mit Franco und verdienten sich goldene Nasen, während die meisten Menschen in dieser Zeit ums blanke Überleben kämpften.
BOMBEN AUF BARCELONA
Benito Mussolini, dem übermächtigen Waffenbruder von General Franco, war es vollkommen egal, dass es in Barcelona kaum militärische Ziele außer dem Hafen und dem Bahnhof gab
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