Reisen im Skriptorium
Aufstand anzuzetteln versucht, ein Heer von Primitiven aufstellen will, das in die Westprovinzen der Konföderation eindringen soll. Ein Heer von Toten kann ja wohl nicht besonders gut kämpfen, oder? Dass Land seine eigenen künftigen Soldaten getötet hat, ist das Letzte, worauf Graf kommen könnte.
Entschuldigen Sie. Ich werde Sie nicht mehr unterbrechen.
Unterbrechen Sie mich, sooft sie wollen. Wir stecken hier in einer komplizierten Geschichte, und nicht alles ist ganz so, wie es scheint. Nehmen wir zum Beispiel Lands Soldaten. Die haben keine Ahnung, wofür sie eigentlich eingesetzt werden sollen, keine Ahnung, dass Land ein Doppelagent in Diensten des Kriegsministeriums ist. Das sind gebildete Träumer, politisch radikal eingestellte Leute, die die Konföderation ablehnen, und als Land sie für seinen Marsch in die Fremden Territorien angeworben hat, haben sie ihn beim Wort genommen und ihm geglaubt, dass sie den Primitiven helfen würden, sich die Westprovinzen einzuverleiben.
Gelingt es Graf überhaupt, Land zu finden?
Er muss. Denn sonst gäbe es keine Geschichte zu erzählen. Aber das geschieht erst später, das kommt erst in einigen Wochen oder Monaten. Etwa zwei Tage nachdem er das Massaker in dem Gangi-Dorf hinter sich gelassenhat, stößt Graf auf einen von Lands Männern, einen wahnsinnig gewordenen Soldaten, der ohne Nahrung, ohne Wasser und ohne Pferd durch die Wüste taumelt. Graf versucht ihm zu helfen, aber es ist schon zu spät: Der Bursche hält nur noch wenige Stunden lang durch. Bevor er den Geist aufgibt, faselt er ununterbrochen zusammenhangloses Zeug, von dem Graf nur so viel versteht, dass alle tot sind, dass sie nie eine Chance hatten, dass die ganze Sache von Anfang an ein Schwindel war. Graf hat Mühe, ihm zu folgen. Wen meint er mit
alle
? Land und seine Soldaten? Die Gangi? Andere Stämme der Primitiven? Der Junge antwortet nicht, und ehe an diesem Abend die Sonne untergeht, ist er tot. Graf begräbt den Leichnam und zieht weiter, und einen oder zwei Tage später gelangt er zur nächsten Gangi-Siedlung, und auch hier sind alle tot. Er weiß nicht mehr, was er denken soll. Was, wenn Land am Ende doch für das alles verantwortlich ist? Was, wenn das Gerücht von einem angeblichen Aufstand nur ein Täuschungsmanöver ist, das von einem viel schlimmeren Unternehmen ablenken soll: von einem lautlosen Abschlachten der Primitiven, das die Regierung in die Lage versetzen würde, das Territorium zur Besiedlung durch Weiße freizugeben und das Gebiet der Konföderation bis an die Küste des Ozeans im Westen auszudehnen? Und doch, wie soll so etwas mit einer so kleinen Zahl Soldaten bewerkstelligt werden? Einhundert Männer, um Zehntausende auszulöschen? Das scheint ausgeschlossen.Aber wenn Land nichts damit zu tun hat, ist die einzige andere Erklärung die, dass die Gangi von einem anderen Stamm getötet wurden, dass die Primitiven im Krieg miteinander liegen.
Mr. Blank will weitererzählen, doch bevor er wieder den Mund aufmachen kann, klopft es an die Tür, und sie werden unterbrochen. So sehr er sich darein vertieft hat, die Geschichte auszuspinnen, so sehr es ihn befriedigt, seine Version dieser weit hergeholten, imaginären Ereignisse vorzutragen, begreift Mr. Blank dennoch augenblicklich, dass dies die Gelegenheit ist, auf die er so lange gewartet hat: Das Rätsel der Tür soll nun endlich gelöst werden. Als das Klopfen ertönt, wendet Farr sich nach dem Geräusch um. Herein, sagt er, und die Tür geht auf, einfach so, und eine Frau schiebt einen Servierwagen aus Edelstahl in den Raum, vielleicht denselben, den Anna zuvor benutzt hat, vielleicht einen, der mit diesem identisch ist. Diesmal hat Mr. Blank genau aufgepasst, und nach bestem Wissen und Gewissen hat er nichts vernommen, was auf das Öffnen eines Schlosses hingedeutet hätte – nichts, was dem Geräusch eines Riegels oder Schlüssels ähnlich gewesen wäre –, was darauf hinweisen würde, dass die Tür die ganze Zeit, von Anfang an nicht abgeschlossen gewesen war. Das jedenfalls mutmaßt Mr. Blank, und schon frohlockt er in Gedanken an seine Freiheit, kommen und gehen zu können, wann er will, erkennt aber gleich darauf,dass die Dinge womöglich doch nicht ganz so einfach liegen. Es könnte sein, dass Dr. Farr bei seinem Eintritt vergessen hat, die Tür wieder abzuschließen. Oder, noch wahrscheinlicher, dass er sich im Bewusstsein, Mr. Blank mühelos überwältigen zu können, falls der
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