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Reisende auf einem Bein

Reisende auf einem Bein

Titel: Reisende auf einem Bein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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Apfel. Seine Haut war welk.
    Nimm den Pfirsich, sagte Thomas.
    Er hielt den Pfirsich vors Fenster ins Licht. Irene schüttelte den Kopf.
    Die Banane ist auch gelb, sagte Thomas.
    Gelb, aber nicht welk.
    Dann einen frischen Apfel.
    Die Photos des jungen toten Politikers lagen nicht mehr auf dem Schreibtisch.
    Hast du die Photos weggeschmissen.
    Thomas hielt einen grünen Apfel in der Hand. Er nickte.
    Auch das mit den weißen Nagelwurzeln.
    Weggeräumt. Das war wirklich mein Fall. Ich kenne Männer aus diesen Etagen. Männer ist übertrieben. Ich kenne zwei. Zwei Diplomaten. Kenne ist übertrieben. Kannte. Holger und Joachim. Damals war ich noch Buchhändler. Ich habe beide besucht. Holger irgendwo im Osten. Joachim in Mozambique. Beide waren besessen. Holger von seinen Ikonen. Joachim von seinem Elfenbein. Die hatten nur einen Gedanken, wie man je mehr Ikonen und je mehr Elfenbein abschleppen könnte.
    Irenes Blick streifte die Buchrücken im Regal.
    Wir fanden kein Ende in den Nächten, sagte Thomas. Wenn es in Maputo hell wurde, kamen die Diener. Etwas später die Bettler. Das waren halbe Kinder. Der Tisch stand voll mit Gläsern. Die waren verklebt von unseren Fingern. Ich erstarrte, denn ich hörte die Diener schreien und mit Gegenständen werfen. Sie vertrieben die Bettler. Sie warfen mit Schuhen, und Lappen, und Besen nach ihnen, bis man sie nicht mehr sah.
    Um die Mittagszeit ging ich mit Joachim zum Hafen runter. Wir hatten uns kurz davor in einer engen Straße getroffen. Joachim kam von der Botschaft, er hatte Mittagspause. Ich sah ihn von weitem. Wer sonst trug hier einen Anzug. Am Straßenrand lagen Bettler. Manche jaulten. Andere lagen nur da. Auch Joachim wußte nicht, ob sie bloß schliefen. Daß ich das fragte, war ihm unangenehm. Die Hitze flackerte über der Stadt. Joachims Klavier war nach einer langen Reise im Hafen angekommen. An der Anlegestelle wackelte der Steg. Wir standen da, dünnbeinig und übernächtigt. Das Klavier war nur noch halb verpackt. Es glänzte neben dem Wasser. Der Hafen war leer. Joachim ging auf und ab, war verschwitzt und wachsam. Von Zeit zu Zeit lächelte er. Ich sah in seinem Mund die Tasten des Klaviers. Wer weiß, sagte Thomas, was er sah, in meinem Gesicht. Ich bediente bloß die verbotenen Leidenschaften eines Diplomaten. Eines Klavierbesitzers und Elfenbeinjägers. Mir fielen seine Briefe ein, in denen er mich siezte, um mich und sich zu verstecken. Ich war mir widerlich. Joachim ging zur Botschaft zurück. Ich sollte, bis das Auto kam, sein Klavier bewachen.Ich habe kein Auto mehr gesehn. Ich habe nach einer Stunde, ohne Gepäck, mit dem ersten Schiff die Anlegestelle verlassen.
    Ich esse gern welke Äpfel, sagte Irene.
    Thomas schaute hinaus auf die Straße.
    Irene berührte mit dem Apfel seine Hand:
    Der Apfel schmeckt matt. Er hat einen Nachgeschmack, wenn man den Bissen noch im Mund hält.
    So sieht er auch aus. Matt, du kaust so langsam, weil er dir nicht schmeckt.
    Er schmeckt nicht nach Apfel. Ich weiß nicht, wonach er schmeckt. Der Apfel ist auf der Zunge, wie die Sonne im Spätherbst auf dem Hinterkopf ist. Man spürt sie nur, wenn man in die andere Richtung geht.
    Ich hab seit einer Ewigkeit keine Vogelschar mehr gesehn. Am Abend zwischen Häusern. Früher hab ich sie immer meinem Sohn gezeigt. Mein Gott, was spüren sie, wenn sie so oft die Richtung wechseln, wenn es Abend wird.
    Thomas zeigte zum Himmel hinauf:
    Die fliegen zur Mauer.
    Zwei Vögel sind keine Schar, sagte Irene, vielleicht ein Paar. Damals waren es Scharen.
    Thomas legte die Hand auf Irenes Nacken:
    Sag nicht Paar. Schau, wie sie glänzen, wie fliegende Blätter.
    Irene schluckte einen Bissen. Spürte beim Schlucken, wie Thomas’ Finger heiß waren, auf ihrer Haut. Irene aß das Gehäuse.
    Blätter wie Laub, oder Blätter wie Papier, fragte sie.
    Sie hielt den Apfelstiel in der Hand:
    Wenn man einen Apfel gegessen hat, ist er verschwunden.
    Irene lachte, zog den Nacken aus Thomas’ Hand.
    Thomas zog die Augenbrauen hoch:
    Jetzt wirst du welken, zuerst dein Magen, dann dein Hals, dann dein Gesicht.
    Irene erschrak. Sie legte die Hand auf die Wange:
    Der Apfel wirkt noch nicht.
    Ihre Stimme war unsicher:
    In dem anderen Land gibt es zwei verschiedene Wörter für Blätter. Ein Wort für Laub und ein Wort für Papier. Dort muß man sich entscheiden, was man meint.
    Irene sah welke Haut an ihren Händen. Thomas sah seine Hände an:
    Ja, dort spricht man eine andere Sprache. Wieso

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