Reispudding mit Zimt (German Edition)
verschwinden wieder. Wie liebe ich England! Dies ist doch meine wahre Heimat. Hier habe ich meine Kindheit verbracht. Laufen gelernt. Den Kindergarten besucht. Mein erstes Zeugnis heimgebracht. Mich zum ersten mal verknallt, und zwar in den Sohn unseres Schulrektors. Wie glücklich war ich, als er mich mit den ganzen „coolen“ Kindern aus unserer Klasse an seinem 13. Geburtstag zu einer Übernachtungsparty einlud. Ob er wohl gemerkt hatte, wie ich ihn mochte?
Am Abendbrottisch hatte ich mit leuchtenden Augen von der Einladung erzählt.
„Kommt nicht in Frage“, sagte mein Vater, „so etwas können andere Kinder machen. Bei uns gibt es das nicht. Mädchen und Jungen in Schlafanzügen? Die Eltern vielleicht außer Hause? Wer passt denn da auf, dass nicht irgend etwas passiert? Flaschendrehen, oder so?“
Oh Mann! Wie sehr hätte ich mir gewünscht, beim Flaschendrehen dabei sein zu dürfen. Vielleicht hätte mein Schwarm mich sogar geküsst, wer weiß?
Stattdessen blieb ich, das Mauerblümchen, zu Hause. Am nächsten Morgen erzählten meine Mitschüler begeistert von nichts anderem als der Party. Wenn ich näherrückte, um wie eine Verdurstende zu lauschen, drehten sie mir ihre Rücken zu und bildeten einen Kreis, der mich ausschloss.
Es gibt einen Ruck.
„Anna, wir sind da. Hast du tatsächlich geschlafen? Nach dem kurzen Flug leidest du doch wohl nicht schon unter Jetlag.“
Ich öffne meine Augen und sehe mich um. Clara hat den Golf in den kleinen Carport hinter ihrem Haus geparkt. Schon ist sie ausgestiegen und öffnet den Kofferraum.
Etwas benommen raffe ich mich auf und hebe meinen Koffer heraus. Durch eine enge Hintertür – früher war dies der Eingang für das Personal – betreten wir ihr Haus.
Sofort umhüllt mich, nein überwältigt mich, der Duft von Claras Parfüm. Tante Clara hat bis zu ihrem Ruhestand als Vertreterin der „Duty Free“ Verkäufe einer berühmten Kosmetikfirma gearbeitet, die ihren Stammsitz in der Bond Street in London hat.
Der Geruch versetzt mich auf der Stelle in meine Kindheit zurück.
Clara hat damals in einem Vorort von London gewohnt, aber dieses Haus, das Haus meiner Großeltern, stand schon seit ich denken kann immer für die Ferientage bereit. Nach ihrem Ruhestand und dem recht frühen Tod unsrer Großeltern hat Clara das Haus übernommen.
Der Duft von Maiglöckchen mit Lavendel und einem Hauch von frischem Farn zaubert in meinem Kopf die Vision von langen, heißen Sommertagen. Meine Brüder und ich verbrachten ganze Tage auf dem Kieselstrand jenseits der Strandpromenade. Meine Mutter und Clara saßen mit großen Strohhüten in Deckchairs auf der kleinen Terrasse, nippten an zarten Teetassen und riskierten diskrete Blicke auf die Feriengäste von unter ihren Hutkrempen. Dann lästerten sie genussvoll über sie, kommentierten ihre Kleider, Kinder, Hunde.
Währenddessen wetteiferten meine Brüder und ich darin, wer die interessantesten Kiesel finden konnte. Das war eine schier nimmerendende Aufgabe, denn der Strand ist übersät mit eckigen Feuersteinen, die einem gelb entgegenleuchten, mit pechschwarzen Jet-Steinen, von denen Stefan immer behauptete, sie seien versteinerte Kohlenstücke, und mit meinen Lieblingssteinen, den Karneolen, die mal orangefarben wie Bernstein sind, oder geheimnisvoll rot glühen, wie die untergehende Sonne.
Abends saß man im Sitting-Room auf dem abgeschabten Chinzsofa, die Beine auf den niedrigen Teetisch abgelegt, (wenn mein Vater ausnahmsweise mal da war, war das natürlich strengstens verboten), wärmte sich am Gasfeuer, vor dem die Badesachen trockneten, und vergrub seine Nase in eines der unzähligen Paperbacks, die in den weißen Regalen an der Wand aufbewahrt sind.
Wie immer wenn ich nach Aldeburgh komme, macht mein Herz einen kleinen Freudensprung – so einen Ferienanfang-Freudensprung, den Kinder spontan empfinden.
„Ich habe dich im Nachbarzimmer einquartiert“, sagt Clara.
Hurra. Jetzt ist alles perfekt. Das ist nämlich das Zimmer mit dem Meeresblick aus der Bettperspektive.
Kaum habe ich meine Sachen dort in die Schränke verstaut, da ruft Clara schon zum Tea.
Im Erdgeschoss befindet sich eine geräumige Wohnküche. Der absolute Mittelpunkt dieser Küche ist ein gewaltiger Eichentisch, der aus einem riesigen Baumstamm gefertigt worden ist. Die Eiche muss bis zu ihrem Tod-durch-Fällen mindestens hundert Jahren alt geworden sein, denn der Tisch misst gut einen Meter von Seite zu Seite. An den Kanten ist die
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