Reiterferien auf Ponyhof Muehlental - Band 1-3
endlich freien Lauf. „Weißt du was, Fee?“, flüsterte Anna kaum hörbar. „Ich hab ein bisschen Angst davor, dass Nora herkommt. Ich hab überhaupt keine Ahnung, wie ich sie trösten soll.“
Erst am Abend des übernächsten Tages trafen Rolf und Nora im Mühlental ein. Anna war froh, dass es endlich so weit war, denn Isabel war vor lauter Ungeduld und Nervosität in den letzten Tagen kaum zu ertragen gewesen. Anna konnte ihre Mutter gut verstehen. Für sie würde die kommende Zeit sicher nicht einfach werden. Zu der Verantwortung für den Ponyhof würde nun auch noch die Verantwortung für ein traumatisiertes Kind kommen. Aber dafür, dass Isabel aus diesem Grund losschimpfte, wann immer es eine Gelegenheit dazu gab, hatte Anna kein Verständnis und war ihrer Mutter, sooft sie konnte, aus dem Weg gegangen.
Traumatisiert. Dieses Wort spukte Anna im Kopf herum, seit ihre Mutter es genannt hatte. Nora hatte schlimme Bilder gesehen. Sie hatte einen Schock erlitten und brauchte fachärztliche Betreuung. Auch darum würden Annas Eltern sich kümmern müssen. Es gab viel zu regeln.
Anna und Robert hatten gerade den Tisch fürs Abendbrot gedeckt, als der alte Volvo auf den Hof gefahren kam. Rolf hob eine große Reisetasche aus dem Kofferraum und schob Nora vor sich her ins Haus.
Anna erkannte ihre Cousine nicht wieder. Sie sah nun noch zerbrechlicher aus, so wie eine kleine Porzellanpuppe.
Äußerlich waren Nora zwar bis auf eine Schramme an der Stirn keine Verletzungen anzusehen, doch ihr Blick starrte ins Leere, und was Anna am meisten erschreckte: Ihre sonst so fröhliche Cousine war wie versteinert.
Anna war unsicher. „Hi, Nora!“, rief sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Toll, dich endlich wiederzusehen!“
Im selben Moment hätte sie die Wörter am liebsten zurückgeholt und verschluckt. Durfte sie das einfach so sagen, dass sie sich freute? Unter diesen Umständen?
Aber Nora zeigte kaum eine Reaktion. Sie sah Anna mit diesem merkwürdig glasigen Blick an und schwieg.
Isabel nickte ihrer Tochter ermutigend zu, woraufhin Anna Nora den Arm um die Schulter legte. „Komm, ich zeig dir, wo du schlafen wirst. Luisa und ich haben dir das Gästezimmer ganz toll hergerichtet. Von da hast du einen schönen Blick über den Garten. Luisa wirst du auch gleich kennen lernen. Sie wohnt drüben in dem alten Speicher. Ihre Mutter hat dort eine Tierarztpraxis.“ Doch an Nora schien die Flut von Informationen abzuprallen. Wortlos lief sie neben Anna her.
Sie bewegt sich wie ein Roboter, ging es Anna durch den Kopf.
Anna führte Nora zur Upkammer, einem kleinen Raum, zu dem eine schmale Holztreppe hinaufführte. Dieser Teil des Wohnhauses gehörte früher zur Tenne, in der in seitlichen Verschlägen auch Tiere untergebracht worden waren. Doch schon Annas Onkel Martin, der als Maler bis vor einem Jahr auf dem Hof gelebt hatte, hatte die gesamte Tenne zu einem Atelier umgebaut. Nun war nach einigen Renovierungsarbeiten das Büro in der Tenne untergebracht und aus der Upkammer, in der früher der Hofknecht gewohnt hatte, war ein gemütliches Gästezimmer geworden.
Für einen winzigen Moment verharrte Nora steif auf der Schwelle, ließ sich dann aber von Anna vorsichtig in den Raum schieben.
Anna trat ans Fenster. „Schau mal, da ist der Garten. Ich gebe zu, er ist sehr viel verwilderter, als er sein sollte, aber die Frühlingsblumen blühen ganz, ganz toll. Die Blumenzwiebeln hab ich letzten Herbst selber verbuddelt, Tulpen, Narzissen und Krokusse. Welche findest du am schönsten?“ Nora starrte aus dem Fenster, aber ihr Gesichtsausdruck verriet nicht, ob sie die bunten Blumen überhaupt wahrnahm.
„Ha, guck mal, da schleicht Fridolin durch die Büsche!“
Anna deutete auf den schwarzen Kater, der offenbar auf der Jagd nach Mäusen war. Und endlich zeigte sich in Noras Gesicht eine Regung. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem sanften Lächeln.
„Soll ich dir helfen deine Sachen in den Schrank zu räumen?“, fragte Anna und ging zum Bett, auf dem Noras Reisetasche lag. „Kennst du noch den Schrank? Er stand früher in meinem Kinderzimmer, weißt du noch?“
Anna plapperte einfach drauflos. Es nervte sie mittlerweile ein wenig, dass Nora kein Wort sagte, und sie fühlte sich irgendwie verpflichtet das Schweigen mit ihrem Redeschwall zu überbrücken.
Anna griff in die Tasche und kramte T-Shirts, Pullis, Jeans, Socken und Unterwäsche hervor. Während sie die Kleidungsstücke in den Schrank
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