Reiterhof Birkenhain 03 - SOS Pferd verschwunden
jedem auf den Magen. Am schlimmsten war dieses quälende Warten auf neue Nachrichten.
Als gegen zehn Uhr Polizeiobermeister Brammer pitschnass in der Stallgasse erschien, wurde er sofort umringt. »Ich komme gerade von den Ahrends«, berichtete er. »Leider noch keine Spur von Jule. Aber immerhin - ihr Schlafsack ist weg.«
Er zog eine schmale Lesebrille aus der Innentasche seiner Uniformjacke, setzte sie auf und studierte einige Fotos, die ans schwarze Brett gepinnt waren.
»Sie scheint die Flucht also gut vorbereitet zu haben«, fuhr er fort, nahm die Brille ab und klappte die Bügel zusammen. »Was wir jetzt dringend für die Fahndung brauchen, ist ein gutes Foto von Jule. Ihre Eltern haben nichts. Nur undeutliche Aufnahmen von Familienfeiern.«
»Fotos? Haben wir reichlich!« Bastian meldete sich.
»Beim Tag der offenen Tür habe ich Jule fotografiert. Und neulich, als wir den Werbefilm drehten. Und dann noch...«
Der große, blonde Junge brach ab, als er Connys erstaunten Blick sah. Verlegen schob er die Unterlippe vor, als Conny ihn plötzlich merkwürdig lächelnd anschaute, als ob sie sagen wollte: »Du und Jule? Das wusste ich ja gar nicht!«
Bastian drehte sich hastig um und ging ins Kaffeezimmer am Eingang. Die anderen folgten.
Die Wände des kleinen Raumes, in dem sich die Reiter gern nach den Kursen trafen, waren übersät mit Bildern von Bastian Bachmann. Friese Ankum vor dem Weihnachtsschlitten, Brinkum, der eine alte Feuerwehrspritze zog, Traber Rocky mit dem Phantom der Oper im Sattel, das teuflisch unter einer Halbmaske hervorgrinste.
Und dann hing da noch ein Farbfoto mit Jule. Großformat.
»Klasse, was?«, sagte Bastian, nahm den Rahmen von der Wand und hielt ihn Karl Brammer unter die Nase. »Stellt euch bloß mal vor«, sagte Herr Jensen, »dieses Foto als Suchbild im >Hamburger Abendblatt<...« Conny hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten. Irgendwie fand sie es unpassend, jetzt zu lachen. Aber es war einfach witzig, sich vorzustellen, wie Jule in diesem schrillen Outfit aus dem »Abendblatt« guckte. Auf dem Bild war sie als feurige Spanierin zu sehen. Grell geschminkt, die Lippen knallrot, im wallenden Kleid, Rosen im Haar. Zu allem Überfluss steckte Jule dem Fotografen, also Bastian, die Zunge heraus.
Dann platzte Conny doch los. Luisa als Nächste, und selbst Herr Jensen vergaß vorübergehend seine Zahnschmerzen und lachte lauthals mit. Sogar der Polizeiobermeister stimmte dröhnend mit in das Gelächter ein.
»Toller Schnappschuss. Alles, was recht ist«, sagte Herr Brammer schmunzelnd, und gleich darauf wieder ernst: »Aber wir brauchen natürlich die ungeschminkte Jule.« Leicht beleidigt hängte Bastian die schöne Spanierin zurück an die Wand. Na, dann würde sich Jule als Robin Hood wohl auch nicht eignen.
Obermeister Brammer eilte im Laufschritt zu seinem Streifenwagen, nachdem er allen eingeschärft hatte zu Hause nach einem Bild von Jule zu suchen.
Nach dem Lachanfall fühlten sich alle ein bisschen besser und die Stimmung war nicht mehr ganz so gedrückt. Luisa folgte Conny zur Box von Rocky, in die ihre Freundin mit Striegel und Kardätsche verschwand. Der Traber kam sofort mit dem Kopf an die Stäbe. Eingehend beschnupperte er Luisa, die das Putzzeug von FleckenPaula hielt.
Auch vor den anderen Boxen standen die Mädchen in Gruppen zusammen und diskutierten, wo Jule jetzt Wohl stecken mochte. Die unglaublichsten Geschichten machten die Runde. Komisch, niemand glaubte daran, dass ihr etwas passiert war. Eines war doch sonnenklar: Bestimmt war Jule nur wegen des Stallverbotes weggelaufen, um ihre Eltern zu erpressen!
»Vielleicht ist sie schon in Wismar und galoppiert mit Sally an der Ostsee entlang«, grübelte Luisa.
Hatte Jule nicht oft von ihrer Tante Carien in Wismar gesprochen, die unheimlich nett sein sollte? Carien, selbst eine begeisterte Reiterin, legte oft ein gutes Wort für ihre Nichte Jule ein, wenn die zu Hause Stress wegen Sally hatte. War es nicht logisch, dass Jule auf der Flucht nach Wismar war?
Rocky machte seinen Hals lang und stieß Luisa gegen die Hüfte. Connys Leckerli-Vorrat war weggefressen, also wurde der nächste Reiter angebettelt.
»Nö, glaube ich nicht.« Conny nahm den Hufkratzer vom Boden vor der Box auf und bückte sich nach Rockys linkem Vorderhuf. »Gib Fuß. Fein, Rocky.« Sie räumte den Huf aus, setzte das Bein ab und nahm sich das linke Hinterbein vor. »Weißt du überhaupt, wie viele Kilometer
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