Reiterhof Birkenhain 03 - SOS Pferd verschwunden
wie Kaugummistreifen. Das Zaumzeug besteht aus Eimerhenkeln. Wo Augen und Nüstern sitzen müssten, haben die Blechköpfe große Löcher. Auf den seltsamen Wesen sitzen Jules Vater und Studienrat Dr. Träger. Wild mit den Armen rudernd, preschen sie im gestreckten Galopp auf Jule zu.
Auf einmal wird das Blumenfeld zu einem aufgepeitschten Meer. Jule drückt sich flach auf Sallys Rücken und die Stute weiß sofort, was zu tun ist. Mit langen Sätzen fliegt sie über die weißen Schaumkronen und vergrößert den Abstand zu den Verfolgern.
Doch als Jule sich zum zweiten Mal umschaut, sitzen Dr. Träger und ihr Vater nicht mehr auf den Blechpferden, sondern haben sich in graue Regenwolken verwandelt. Ein kräftiger Wind bläst sie näher und näher an Jule heran.
«Vier Eimer minus ein Drittel Blechpferd«, schreit die Dr.-Träger-Wolke. »Such den gemeinsamen Nenner.« Und die Vaterwolke ruft unaufhörlich: »Stallverbot, Stallverbot.« Da steigt Sally plötzlich steil nach oben und taucht in eine schwarze Gewitterfront ein, aus der grelle Blitze zucken.
Unter Donnergrollen öffnet der Himmel seine Schleusen. Regen peitscht Jule ins Gesicht. Ungläubig sieht sie, Wie die Verfolger-Wolken zusammenschrumpfen, im-mer mehr, immer mehr - und dann zu Regentropfen werden.
Als Jule schweißgebadet aufwachte, spürte sie auf ihrer rechten Wange etwas Feuchtes. Entsetzt schoss sie in ihrem Schlafsack hoch und fasste sich ins Gesicht. Tropf. .. tropf... tropf...
Dicke Wassertropfen zersprangen auf ihrer Stirn, perlten am Ohrläppchen ab und liefen in den Nacken. »Ihhh«, schrie Jule auf. Automatisch ging ihr Blick nach oben zum dunklen Bretterdach.
Es regnete! Und das war kein Traum mehr, das war die Realität!
Hundemüde schüttelte sich Jule noch einmal, bevor sie aus dem Schlafsack kroch. Fröstelnd suchte sie nach der Taschenlampe. Sally begrüßte sie mit leisem Blubbern von der Wiese, wo sie trotz des Regens zufrieden stand und Gras zupfte.
»Verflixt, die Batterie ist fast leer«, sagte Jule laut, als sie das Dach anleuchtete. Der Lichtkegel tanzte so schwach über Balken und Spinnweben, dass undichte Stellen kaum auszumachen waren.
Sally hörte mitten im Kauen auf, kam näher und verfolgte mit großen Augen den Weg der Lichtstrahlen.
Jule knipste die matte Lampe aus und tappte mit nackten Füßen ins Freie. Der Tag dämmerte bereits. Ihr erster Morgen nach der Flucht und es regnete wie aus Kübeln. Jule zog den Kopf ein, schnappte sich die Eimer und stellte sie in den Regen. Wenigstens konnte sie sich heute das Wasserschleppen sparen.
Sie schüttelte sich und ging zurück unter das Holzdach. Erst mal musste sie ein trockenes T-Shirt anziehen. Das weiße war im Nacken durch und durch nass geworden. Jule fror etwas, obwohl es gar nicht kalt war, aber eine frische Brise fegte über die Wiese.
Sicher zerbrachen sich alle den Kopf darüber, wie sie mit Sally die nasse Nacht überstanden hatte. Wenn der Regen aufhörte, wollte sie abends an der Golfanlage nach einer Telefonzelle suchen und ihre Eltern beruhigen. Und natürlich die Leute im Stall.
Kapitel 7
Vom Erdboden verschluckt
Insgeheim hoffte Kai Jensen auf ein Wunder, als er Samstag früh um kurz nach fünf zum Füttern aus seiner Dachwohnung in den Stall herunterkam.
In der Nacht hatte er kaum ein Auge zugetan. Als dann auch noch der Regen einsetzte, war an Schlaf überhaupt nicht mehr zu denken gewesen. Jule und Sally nachts im Regen! Hoffentlich war das Mädchen so clever gewesen, in einer Heuhütte zu übernachten. Oder in einem Pferdeunterstand.
Aber vielleicht machte er sich grundlos Sorgen? Vielleicht stand Sally längst wieder in ihrer Box und verlangte lautstark nach ihrem Frühstück?
Doch das Wunder blieb aus: Lediglich Kater Blaumann hatte es sich in Sallys Box gemütlich gemacht und döste zusammengerollt im Stroh. Der Regen, der auf das Stalldach prasselte, passte ausgezeichnet zu Kai Jensens Stimmung.
Als sich dann auch noch sein Backenzahn meldete (besser gesagt, das Loch, in dem der kranke Zahn gesteckt hatte), da stand es mit seiner Laune wirklich nicht mehr zum Besten. Selbst der alte King Louis schaffte es nicht, den Chef aufzuheitern.
Die Reiterkinder, die nach und nach eintrudelten, hatten ein gutes Gespür für eine gedrückte Atmosphäre entwickelt. Selbst die Nervis erkannten, dass heute niemand zum Scherzen aufgelegt war. Sie selber ja auch nicht. Wenn ein Mädchen mit einem Pferd über Nacht verschwunden war, schlug das
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