Reiterhof Birkenhain 04 - Ein starkes Team
zu gewinnen. Mathelehrer Dr. Träger trat einen Schritt beiseite, um seiner Schülerin - sie gehörte zu seinen schlechtesten - Platz zu machen.
Jule fixierte die vier Brüche an der Tafel. Doch, das konnte sie packen. Bastians Nachhilfestunden zahlten sich aus. Obwohl sie schon tagelang nicht mehr mit ihm gelernt hatte. Seit Montag war ihr Reiterfreund mit seiner Foto-AG unterwegs. Bastian wusste noch nichts von Herrn Jensens Unfall.
Jule seufzte, nahm das Kreidestück und löste zwei der Aufgaben gut, eine etwas umständlich. Bei der letzten war wenigstens der Ansatz richtig.
Dr. Träger wirkte nicht unzufrieden, als Jule ihm die Kreide wieder in die Hand drückte. »Wenn ich bedenke«, sagte er, »wie katastrophal das noch vor vier Wochen bei dir aussah! Gut, dass du eingesehen hast, dass Pferde nicht das Wichtigste im Leben sind.«
Jule verdrehte die Augen, als sie zu ihrem Platz zurückging, und prompt kicherte die ganze Klasse.
Dr. Träger ahnte natürlich, dass Jule hinter seinem Rücken eine Grimasse zog, und ärgerte sich darüber. Während er überlegte, ob er ihr noch eine Aufgabe stellen sollte, ging die Tür auf. Die Schulsekretärin guckte durch den Spalt.
»Entschuldigung, kann Julia Ahrend kurz ans Telefon kommen?«
»Was, mitten in der Stunde?« Solche Unterbrechungen liebte Dr. Träger. »Kommt gar nicht in Frage!«
»Aber die Dame am Telefon machte es dringend.« »Geht es ... um meine Mutter?«, fragte Jule schnell. »Nein, nein. Die Dame sagt, sie ruft vom Reiterhof Birkenhain an.« Die Angestellte hob die Schultern. »Ein Pferd sei eventuell krank. Sie fragte nach Conny Clasen oder Julia Ahrend. Connys Klasse ist aber im Hallenbad.«
»Also doch wieder Pferde!« Jules Mathelehrer warf die Kreide auf die Tafelablage. »Dass du dich jetzt schon in der Schule anrufen lässt... So etwas Dreistes!«
Jule sprang sofort auf. »Das ist bestimmt wichtig!« Mit beiden Händen umklammerte sie die Tischkante. »Unser Stallbesitzer ist doch im Krankenhaus. Ich muss ans Telefon!«
Dr. Träger studierte Jules Miene und suchte nach verräterischen Zeichen. Sicher war die ganze Sache ein übler Trick.
Nicht das erste Mal, dass Schüler angeblich dringend wegmussten. Mit allen möglichen Alarmmeldungen am Telefon. Manche schreckten nicht einmal davor zurück, ihren Eltern einen Unfall anzudichten. Fast alle »SOSRufe« hatten sich später als gelogen herausgestellt. Wahrscheinlich versuchte eine Freundin Julia aus der Schule loszueisen. Bestimmt wollten sie an diesem sonnigen Donnerstag ausreiten.
Und wenn es doch ein Notfall war? Der Mathelehrer überlegte, während er im Rechenbuch blätterte.
»Gut. Aber ich komme mit zum Telefon. Ihr löst die Aufgaben auf Seite 64«, sagte er zu seiner Klasse und dann, an Jule gewandt: »Wehe, wenn du mich austricksen willst.«
Der Hörer lag mitten auf dem Schreibtisch des Schulbü-ros. Dr. Träger hielt seinen Kopf schief, um alles mitzuhören. Misstrauen auf zwei Beinen! Aber Jule achtete gar nicht auf ihren Lehrer, so aufgeregt war sie.
»Frau Vogel... Was, Flecken-Paula? ... Ihr Futter liegt noch drin? . . . Sie scharrt ständig mit den Hufen? .. . Wie oft hat sie sich hingeworfen? . . . Und springt danach sofort wieder auf? ... Mensch, Frau Vogel... das ist eine Kolik, ja Kolik ... Wann kommt Dr. Teichmüller? . . . Das glaube ich nicht, Sie haben ihn wirklich noch nicht angerufen? ... Die Nummer hängt über der
Haferkiste ... Nein, bloß nicht in der Box lassen... in die Halle... Na, führen natürlich ... Ja, ich komme.« Dr. Träger nahm ihr den Hörer aus der Hand. Ungeduldig trat Jule von einem Fuß auf den anderen. Jetzt wollte der sich noch lang und breit vergewissern, ob das keine Finte war. Als wenn sie mit solchen Taschenspielertricks arbeiten würde!
Die Klingel im Flur setzte dem Gespräch ein natürliches Ende. Große Pause.
»Ich begleite dich«, beschloss Dr. Träger. »Mit dem Wagen. Nach der Pause habe ich eine Freistunde.«
»Was? In den Stall?«
Das war genau das, was Jule jetzt gebrauchen konnte! Ein krankes Pferd, Doris Vogel und dann noch ihr Mathelehrer! Der würde ihr garantiert nur vor den Füßen herumlaufen und dumme Fragen stellen. War so viel Misstrauen noch normal?
»Meinetwegen«, sagte sie, schließlich eilte die Sache. »Dann aber los.«
Dr. Träger nahm Jule sogar in seinem Auto mit, damit sie schneller zum Reiterhof kam. Kaum hielt der Wagen am Ziel an, sprang sie hinaus und stürzte in den Stall. Ihr
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