Reiterhof Birkenhain 08 - Achtung Pferde in Not
Weide, die sie in ihrem Leben sehen. Bisher standen sie mit festgebundenen Beinen eng nebeneinander. Sie kennen keine Freiheit und keine Wiese. Natürlich genügt da schon ein Vogel, um sie in Panik zu versetzen.«
Kai Jensen stieg kurz entschlossen über den Zaun, um sich um die Pferde zu kümmern.
»Das wäre wirklich ein Drama«, sagte er über die Schulter, »wenn sie sich hier verletzen, wo wir sie gerade gerettet haben.«
Aufmerksam ging er an die Pferde heran. Als die ersten aufgeregt zur Seite sprangen, blieb er stehen. Erst nach einiger Zeit machte er erneut zwei Schritte vorwärts. Überraschend schnell gewöhnten sich die Tiere an seine Gegenwart. Offensichtlich merkten sie, dass Jensen ein Mensch war, von dem sie nichts zu befürchten hatten. Stundenlang hätte man den Pferden Zusehen können. Drei der mutigsten verloren ihre Furcht ein wenig. Sie wagten schon einen kleinen Ausflug ans Ende der Weide und rupften ein paar Blätter von den Ahornbäumen, die ihre Zweige über den Zaun streckten.
Schließlich klopfte der ältere Polizist mahnend auf sein Notizbuch.
»Sorry, aber wir müssen endlich weitermachen. Unsere Dienststelle kann nicht ewig auf uns warten.«
Sie nahmen Joseph und Wenzel mit nach unten. Die anderen blieben an der Koppel stehen.
»Wie geht es denn nun weiter mit den Pferden?«, fragte Conny und lehnte sich über den Zaun.
Frau Schneider seufzte. »So wie es aussieht, muss Joseph eine saftige Strafe zahlen. Wegen Verkehrsgefährdung mit seinem kaputten Lkw. Er muss ihn reparieren lassen und ... «
» ... nach Hause zurückfahren«, ergänzte Anne schnell. »Und die Pferde bleiben hier. Sagen Sie, dass das stimmt, Frau Schneider.«
»Leider nicht. Er darf die Pferde wieder aufladen und damit nach Italien weiterfahren. Der Amtstierarzt hat bestätigt, dass die Tiere nach einer Erholungspause von drei Tagen wieder transportfähig sind.«
Für die Mädchen war das eine schreiende Ungerechtigkeit.
»Soll das heißen, dass alles vergebens war?«, fragte Imke und sah Frau Schneider Hilfe suchend an.
»Sehe ich so aus, als ob ich sofort klein beigebe?«
Nein, so sah Inge Schneider wirklich nicht aus, wie sie vor ihnen stand, die Hände in die Seiten gestemmt. Voller Entschlusskraft und Tatendrang. »Ich setze Himmel und Hölle in Bewegung, um die Pferde zu retten.« Anne und ihr Vater mussten nach Hause. Auch Viktoria Grotmeyer hatte abends eine Verabredung.
Gleich am nächsten Tag wollten die drei sich mit anderen Tierschützern treffen - zur Lagebesprechung.
»Zwei oder drei Pferde bringen wir bestimmt unter«, meinte Anne zuversichtlich, als sie sich verabschiedete. »Bei uns gibt es therapeutisches Reiten, für kranke Kinder, da suchen sie immer Pferde.«
»Einige der Pferde kann man sicher für leichtes Schrittreiten ausbilden«, glaubte auch Viktoria Grotmeyer. »Das könnte ich übernehmen. Ein paar sind wohl richtige Reitpferde, die stammen vermutlich aus der Versteigerung in Bargteheide.«
Kurz nach den dreien fuhren auch die Polizisten ab. Joseph hatte mit seinem Boss in Polen telefoniert.
Es war genauso gekommen, wie er befürchtet hatte. Der Chef des Schlachtpferde-Transporters hatte ihn hinausgeworfen. Natürlich musste Joseph vorher noch die Pferde nach Italien fahren und den Lastwagen zurückbringen.
Wie ein Häufchen Elend kauerte Joseph zwischen den anderen auf der Bank vor dem Bauernhaus.
Der Mann war verzweifelt. Wie sollte er ohne Job seine Wohnung bei Warschau bezahlen? Er lebte ja schon bescheiden, hatte nur ein Zimmer. Wie sollte es bloß weitergehen? Arbeitsstellen waren bei ihm zu Hause Mangelware.
»Joseph sieht gar nicht wie ein Tierquäler aus«, sagte Imke leise zu Conny, »sondern eigentlich richtig nett.« Sie dachte daran, dass auch ihr Vater aus heiterem Himmel arbeitslos geworden war. Schlimm, wenn man kein Geld mehr verdiente. Deswegen musste sie ja auch ihren Deichgraf verkaufen.
Obwohl Imke flüsterte, verstand Frau Schneider ihre Bemerkung. Zustimmend drückte sie Imkes Arm. Inge Schneider hatte längst gemerkt, dass Joseph im Grunde ein guter Kerl war. Ihm ging das Schicksal seiner Pferde wirklich nahe.
»Wollen Sie nicht eine Weile hier bleiben und für mich arbeiten?« Aufmunternd zeigte sie über ihren Hof. »Hier gibt es eine Menge zu tun. Können Sie mit Holz umgehen? Ich meine, wie ein Tischler? Sägen, schrauben?«
Mit der Hand führte sie eine unsichtbare Säge durch die Luft und drehte einen eingebildeten Schraubenzieher.
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