Reiterhof Birkenhain 08 - Achtung Pferde in Not
passte der kleinen M2 ganz und gar nicht, dass ein Mensch ihr die Mutter wegnahm.
Wenn Imke antrabte, galoppierte M2 so schnell neben ihr her, bis sie Sally überholt hatte. Dann stoppte das Fohlen plötzlich quer vor Sallys Brust, um sie zum Hai-ten zu zwingen. Zweimal fiel Imke fast kopfüber herunter, weil Sally eine Vollbremsung machte.
Jule stand mitten in der Halle und hielt sich den Bauch vor Lachen, wenn M2 ihre Mutter wieder ausgetrickst hatte. Nach einer halben Stunde tauchte Herr Jensen am Halleneingang auf. Er stemmte die niedrige Tür auf, ging schnurstracks zu Sally hinüber, ließ sie anhalten und hielt einen weißen Briefbogen hoch.
M2 hüpfte um ihre Mutter herum und schnappte nach dem Papier.
»Mir ist nicht nach Scherzen zu Mute, Kleine«, sagte Herr Jensen, strich dem Fohlen aber trotzdem liebevoll über die Nase.
»Hat das eine von euch geschrieben?«, fragte er die Mädchen und wedelte mit dem Brief.
»Was denn?«, wollte Jule wissen. Sie wusste wirklich nicht, wer Herrn Jensen eine Geheimnotiz zugesteckt haben könnte. Imke auch nicht.
»Na schön. Moment mal«, knurrte Herr Jensen und stürmte im Laufschritt durch die Sägespäne zum anderen Ende der Halle. Er beugte sich über die Bande, untersuchte die Holzwand und tastete die einzelnen Latten ab.
Fragend sahen Jule und Imke sich an. Was sollte das? »Ist hier gestern irgendetwas passiert, als wir unterwegs waren?«, flüsterte Imke.
Mit hochrotem Kopf kam Jensen zu den Mädchen zurück. »Wenn das stimmt«, wütete er. »Wenn das stimmt, dann passiert was ... «
Wem warm was passierte, ließ er offen. Aber Jensens Miene verriet, dass es nicht sehr lustig sein würde, was er vorhatte.
Dann berichtete Jensen vom Inhalt des Briefes. Es ging um Al, Albrecht Steinberg. Folgendes sollte gestern geschehen sein, wenn man dem unbekannten Schreiber glauben durfte.
Als Jensen mit Conny und Imke weggefahren war, ritt Al den Westfalen Turbo in der Reithalle. Der Braune wollte ein paar Mal nicht vorschriftsmäßig in die Ecken gehen. Albrecht ärgerte sich maßlos darüber und jagte Turbo im Jähzorn gegen die Wand, bis das Pferd in seiner Verzweiflung stieg. Mit den Vorderbeinen trat es durch die Holzlatten und verletzte sich.
»Ich habe gerade nachgesehen«, sagte Herr Jensen und zeigte auf die gegenüberliegende Hallenwand. Seine Stimme bebte vor Zorn. »Ein paar Stellen sind mit Holzkitt bestrichen. Frisch ausgebessert. Und die Wunden von Turbo, die stammen von Holzsplittern, wenn mich nicht alles täuscht.«
Den Mädchen verschlug es die Sprache. Gab es tatsächlich solche Tierquäler in ihrem Stall? Nicht nur bei Schlachtpferde-Transporten?
Sogar das Fohlen schien den Ernst der Lage zu spüren. Jedenfalls wieherte es nicht mehr wie vorher und rannte auch nicht um Sally herum.
»Wisst ihr etwas davon?«, fragte Kai Jensen.
Die Mädchen waren wie vor den Kopf geschlagen. »Aber Herr Jensen, das hätten wir Ihnen doch sofort gesagt.« Imke konnte es gar nicht fassen. »Tierquäler, überall Tierquäler. Wie kann man so freundlichen Tieren wie Pferden bloß etwas Böses antun?«
Imke streichelte Sallys Mähne, als ob sie die Stute dadurch vor Unheil schützen könnte.
Verwundert sah Jule zu ihrer alten Erzfeindin auf Sallys Rücken hoch. Imke Zavelstein, Ober-Nervi, schmuste mit Sally? Mit Sally, auf der Imke früher nur herumgehackt hatte? Hatten die Erlebnisse um Deichgraf sie etwa in einen anständigen Menschen verwandelt? Fast schien es so.
»Zutrauen würde ich ihm das.« Jule nickte grimmig. »Er ist immer so gemein.«
»Ein richtiger Fiesling«, ergänzte Imke. »Er hat mir eingeredet, dass Deichgraf auf diesem . . . auf diesem ... Transporter sein müsste. Werfen Sie ihn jetzt heraus?«
»Ich möchte bloß wissen, was die Killerbienen an dem finden«, sagte Jule verächtlich. »Die schlagen sich seinetwegen fast die Köpfe ein - Ilona, Olivia, Senta und die anderen. Wie die den Al anbaggern, das ist oberpeinlich. Aber Ilona hat ihn sich ja wohl gekrallt. Olivia und Senta sind stinksauer deswegen, glaube ich.«
In Herrn Jensens Gehirn begann es plötzlich, zu arbeiten. Dass die Killerbienen hinter seinem neuen Lehrling her waren, das hatte er gar nicht bemerkt. Ehrlich gesagt, es interessierte ihn auch nicht. Bis jetzt jedenfalls. Nun sah die Sache anders aus. Sorgfältig strich Kai Jensen das Briefpapier glatt und betrachtete das Anklageschreiben genauer.
Eine Mädchenhandschrift war es, das stimmte. Die Killerbienen?
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