Reizende Gäste: Roman (German Edition)
ausgesehen, als sei die Familie komplett.
Aber nun waren zwei weitere Personen auf der Bildfläche erschienen. Fleur und die kleine Zara. Richard lehnte sich zurück und schloß die Augen. Hatte Emily je daran gedacht, daß er nach ihrem Tod wieder heiraten könnte? Oder hatte sie, so wie er, geglaubt, daß ihre Liebe nie von einer anderen verdrängt werden könnte? Die Möglichkeit einer Wiederheirat war ihm nie, nicht ein einziges Mal, in den Sinn gekommen. Sein Kummer war ihm zu groß erschienen. Und dann war ihm Fleur begegnet, und alles hatte sich zu ändern begonnen.
Wollte er Fleur heiraten? Er wußte es nicht. Zur Zeit genoß er noch die unbeschwerte Natur ihres Beisammenseins. Nichts war festgelegt, es gab keinerlei Druck, die Tage verliefen angenehm dahin.
Aber es lag Richard nicht, sich ewig treiben zu lassen; Probleme in der Hoffnung zu übersehen, daß sie verschwinden würden. Probleme mußte man angehen. Vor allem das Problem des … das Problem des … Richard wand sich unbehaglich in seinem Sessel. Wie üblich wollten seine Gedanken vor dem Thema zurückschrecken. Aber diesmal zwang er sie zurück; dieses Mal stellte er sich der Angelegenheit gedanklich. Sex. Das Problem des Sex’.
Fleur war eine verständnisvolle Frau, aber er konnte nicht erwarten, daß sie ihn ewig verstand. Warum sollte sie das auch, wenn er sich nicht einmal selbst verstand? Er betete Fleur an. Sie war schön und begehrenswert, und jeder andere Mann beneidete ihn. Und doch überkam ihn jedesmal, wenn er in ihr Schlafzimmer kam und sie auf dem Bett liegen und ihn mit faszinierenden Augen anblicken sah, eine schuldbeladene Angst, die sein Verlangen hintanstellte und ihn blaß und vor Frustration zitternd zurückließ.
Bis jetzt war er der Meinung gewesen, daß allein dieser Faktor sich als Hinderungsgrund für eine Heirat mit Fleur erweisen könnte; hatte sich mit der Tatsache abgefunden, daß sie über kurz oder lang irgendwelche Ausflüchte vorbringen und, wie ein exotisches Insekt, zu einer anderen fruchtbareren Blume weiterziehen würde. Doch sie schien keine Eile zu haben, ihn zu verlassen. Fast schien sie etwas zu wissen, das er nicht wußte. Und so begann Richard sich zu fragen, ob er das Problem nicht von der falschen Seite betrachtete. Er hatte sich eingeredet, daß fehlender Sex einer Ehe im Weg stand. Aber konnte es nicht sein, daß er Emilys Schatten erst dann los wurde, wenn er sich ganz und gar an Fleur band? Und hatte Fleur – die scharfsichtige Fleur – das etwa bereits erkannt? Verstand sie ihn besser als er sich selbst?
Nachdem Richard einen weiteren Schluck Bier getrunken hatte, beschloß er, noch am selben Abend mit Fleur darüber zu sprechen. Er würde nicht den gleichen Fehler machen wie mit Emily und Dinge ungesagt lassen, bis es zu spät war. Mit Fleur würde es anders sein. Da gäbe es keine verborgenen Gedanken. Mit Fleur, dachte Richard, war nichts geheim.
10
Fleur verweilte selten bei Fehlern oder Mißgeschicken. Während sie zügig ausschritt und blinzelte, als die strahlende Abendsonne sie blendete, ließ sie die Überlegung nicht zu, daß die letzten paar Monate mit Richard Favour unter Umständen ohne den geringsten finanziellen Gewinn verlaufen waren. Statt dessen richtete sie ihre Gedanken ganz nach vorn. Die nächste Beerdigung, der nächste Gedenkgottesdienst, die nächste Eroberung. Positives Denken war Fleurs Spezialität. Sie würde Johnny anrufen und sich ein paar lohnende Beerdigungen nennen lassen, und Richard Favour würde zu einem weiteren Namen aus der Vergangenheit verblassen.
Eigentlich, überlegte sie, als sie sich an einen Baum lehnte, um wieder zu Atem zu kommen, war es nicht schlecht gewesen, mal eine Weile in »The Maples« zu wohnen, Geld hin oder her. Schließlich hatten nur wenige der Männer, deren Gastfreundschaft sie in der Vergangenheit genossen hatte, sich mit so wenig zufrieden gegeben wie Richard Favour. Die Forderungen, die er an sie stellte, waren praktisch gleich null. Es wurde nicht verlangt, daß sie sich im Schlafzimmer bemühte. Es wurde nicht verlangt, daß sie in der Küche wirkte. Es wurde weder erwartet, daß sie irgendwelche anspruchsvollen Funktionen übernahm, noch, sich die Namen irgendwelcher Leute zu merken oder eine Zuneigung für kleine Kinder oder Tiere zu bekunden.
Die letzten Monate mit Richard waren eine Zeit gewesen, um neue Kraft zu schöpfen. Eine Erholungskur sozusagen. Sie würde erfrischt und regeneriert wieder auftauchen,
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