Reizende Gäste: Roman (German Edition)
meinte Antony schließlich. »Wieso bist du heute so schlecht gelaunt?«
»Bin ich doch gar nicht.«
»O doch. Du warst schon den ganzen Tag mies drauf. Seitdem deine Mutter heute morgen gefahren ist.« Er machte eine Pause. »Ist es, weil …« Unbeholfen brach er ab.
»Was?«
»Na ja. Ich habe mich bloß gefragt, ob du die Person vielleicht kennst, zu deren Gedenkgottesdienst deine Mutter geht. Und daß das vielleicht der Grund ist, warum du ein bißchen …«
»Nein«, unterbrach ihn Zara. »Nein, das ist es nicht.« Sie wandte sich von ihm ab; ihre Miene wirkte mißmutiger denn je.
»Das wird super, wenn du nach New York gehst«, lenkte Antony ein.
»Wenn ich gehe.«
»Natürlich tust du das! Dein Freund Johnny fliegt doch mit dir hin!«
Zara zuckte die Achseln.
»Ich kann’s irgendwie noch nicht ganz sehen.«
»Wieso nicht?«
Wieder zuckte sie mit den Achseln.
»Ich tu’s einfach nicht.«
»Heute ist einfach nicht dein Tag«, stellte Antony verständnisvoll fest.
»Nein, das ist es nicht. Ich würde bloß gern …«
»Was?« fragte Antony begierig. »Was würdest du gern?«
»Ich würde gern wissen, wie es weitergeht. Okay?«
»Zwischen deiner Mum und meinem Dad?«
»Genau«, erwiderte sie kaum hörbar.
»Ich glaube, sie werden heiraten.« Antonys Stimme schäumte über vor Begeisterung. »Ich wette, Dad fragt sie bald. Und dann wird das ganze Zeug mit der Gold Card …« Er senkte etwas seine Stimme. »Na ja, dann tut das nichts mehr zur Sache, oder? Ich meine, dann ist sie seine Frau! Und sie teilen sich sowieso all ihre weltlichen Güter!« Zara sah ihn an.
»Das hast du dir im Kopf ja schon alles ordentlich zurechtgelegt, was?«
»Na ja.« Er errötete leicht und zupfte an dem kurzgeschorenen Gras.
»Antony, du bist so verdammt anständig. «
»Bin ich nicht!« versetzte er wütend.
Unvermittelt lachte Zara auf.
»Aber das ist doch nichts Schlechtes! «
»Du denkst wohl, ich bin der totale Spießer«, beklagte er sich. »Aber das stimmt nicht. Ich hab’ schon eine Menge … Zeug gemacht.«
»So? Was denn?« neckte ihn Zara. »Ladendiebstahl?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Also dann Glücksspielerei?« scherzte Zara. »Wie steht’s mit Sex?« Antony wurde rot, und Zara rutschte näher an ihn heran. »Hast du es schon mal getan, Antony?«
»Du?«
»Sei nicht blöd. Ich bin erst dreizehn.«
Innerlich stieß Antony einen Stoßseufzer aus.
»Na, und woher soll ich das wissen?« meinte er trotzig. »Du könntest ja trotzdem schon mal. Ich meine, Stoff rauchst du ja schließlich auch, oder?«
»Das ist was anderes«, versetzte Zara. »Auf jeden Fall kriegt man Gebärmutterhalskrebs, wenn man’s zu früh tut.«
»Was kriegt man?«
»Gebärmutterhalskrebs, Blödmann. Du weißt doch, was ein Gebärmutterhals ist. Der ist genau hier.« Sie deutete auf einen der oberen Fly-Buttons ihrer Jeans. »Hier drinnen.« Antonys Blick folgte ihrem Finger und spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Automatisch flog seine Hand zu seinem Muttermal hoch.
»Verdeck’s doch nicht«, meinte Zara.
»Was?«
»Dein Muttermal. Es gefällt mir. Du brauchst es nicht zu verdecken.«
»Es gefällt dir?«
»Ja klar. Dir nicht?« Antony wußte nicht, was er sagen sollte, und sah fort. Sein Muttermal wurde von niemandem je erwähnt; er hatte sich daran gewöhnt vorzugeben, daß er sich seiner Existenz nicht mehr bewußt war.
»Es ist sexy«, sagte sie mit einschmeichelnder, heiserer Stimme. Noch nie hatte ihn jemand sexy genannt.
»Meine Mutter hat es gehaßt«, platzte es unwillkürlich aus ihm heraus.
»Was? Das glaub’ ich nicht!«
»Doch! Sie …«, er hielt inne. »Na ja, das tut nichts zur Sache.«
»Natürlich tut’s was zur Sache!«
Eine Weile hielt Antony seine Lider gesenkt. Jahre der Loyalität zu seiner Mutter kämpften mit dem plötzlichen, verzweifelten Verlangen, sich alles von der Seele zu reden.
»Sie wollte, daß ich eine Augenklappe trage, damit man es nicht sieht«, sagte er unvermittelt.
»Eine Augenklappe?«
Antony drehte sich herum und fing Zaras ungläubigen Gesichtsausdruck auf.
»Als ich ungefähr sieben war. Sie fragte mich, ob ich es nicht spaßig fände, eine Augenklappe zu tragen. Wie ein Pirat, sagte sie. Und sie zog dieses … dieses entsetzliche Plastikding an einem Gummiband heraus.«
»Und du, was hast du getan?«
Antony schloß die Augen und erinnerte sich daran, wie seine Mutter ihn mit diesem angewiderten Blick angesehen hatte, der nur halb
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