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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Guggenheim
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willkommen.“
    Der Medicus sprach hastig, so, als hätte er nur wenig Zeit. Seine Stimme klang hoch, aber kräftig. Er hatte stattliche Körperfülle und war nicht sehr groß, etwa einen Kopf kleiner als ich, was aber durch seinen hohen Hut nicht unmittelbar auffiel. Einige weiße Haare durchzogen wie Silberfäden die schwarzen Locken, die ihm bis auf die Schultern reichten. Seine blasse Gesichtsfarbe war die vieler Städter, die sich nur selten im Freien aufhalten. Ein sorgfältig gestutzter Bart rahmte den Mund wie ein Dreieck ein.
    Der Professor trug einen Anzug aus schwarzer, glänzender Atlasseide mit kunstvoll gefassten Posamentenknöpfen. Schulterkragen und Manschetten waren aus Spitze, beinahe so fein wie ein Spinnennetz. Bronzefarbene Kappen und breite Samtschleifen schmückten die eckigen Schnürschuhe. Seine Kleidung zeigte eine Eleganz, wie sie nur die hervorragendsten Schneider herstellen können. Die ganze Erscheinung strahlte Bürgerstolz und Selbstvertrauen aus.
    Ich schämte mich wegen meines einfachen, derben Bauernrocks und konnte doch den Blick kaum von den prächtigen Stoffen wenden. In diesem Moment beschloss ich: So wie dieser Medicus würde ich später auch einmal durch die Straßen flanieren, genauso vornehm und edel.
    „Ich habe meinen Schüler Samuel Bol mitgebracht, er wird mir gelegentlich zur Hand gehen“, hörte ich den Meister sagen. Ehrfürchtig und mit einem leichten Kopfnicken grüßte ich den Medicus.
    Ganz sicher gingen dem Medicus so viele bedeutende Gedanken durch den Kopf, dass ihm keine Zeit blieb, einem so unbedeutenden Malerschüler wie mir Beachtung zu schenken. Das war mir nur recht, denn so mochte diesem hohen Herrn mein ärmliches Äußeres entgangen sein. Er deutete auf die übrigen fünf Männer am Tisch.
    „Ich möchte Euch meine Mitarbeiter vorstellen, Meister Rembrandt. Zuerst die Doctores Marten Fonteijn, Daniel Vis und Laurens van Miereveld. Sie gehören dem Vorstand unserer Gilde an. Die anderen beiden Doctores, Abraham Calcoens und Thomas Block, nehmen den angehenden Chirurgen unserer Universität die Prüfung ab.“
    Bei der Nennung ihrer jeweiligen Namen standen die Ärzte auf und verbeugten sich höflich.
    „Fangt am besten gleich heute mit Euren Studien an“, fuhr der Professor fort. Leider ist es mir heute nicht möglich, länger bei Euch zu verweilen, da ich meine Forschungen vorantreiben muss. Ich schlage vor, dass Ihr Eure Aufmerksamkeit zuerst meinen Gehilfen zuwendet. Danach stehe ich ganz zu Eurer Verfügung. Somit könnt Ihr Eure Komposition auch nach den Gesetzen der Logik gestalten. Von außen nach innen, vom Nebensächlichen zum Hauptsächlichen.„
    Ich holte Papier und Kohle heraus, und der Meister begann mit der Arbeit. Rasch und sicher glitt seine Hand über die weißen Bögen. Er hieß die Ärzte auf- und abgehen und sich wieder hinsetzen. Danach wies er sie an, zu sprechen und dabei ihre Gestik, Mimik oder Kopfhaltung zu verändern. Staunend beobachtete ich, wie er mit nur wenigen Strichen das Wesen einer Person auf einem Blatt Papier einfing.
    Zwischendurch legte der Meister eine Pause ein, weil Hand und Augen etwas Erholung brauchten. Ich sah mir unterdessen die Bilder an, die den Versammlungsraum schmückten, allesamt Anatomieszenen. Zwei stammten von der Hand des Meisters, die beiden anderen von Malern, deren Namen ich nicht kannte.
    Direkt gegenüber der Tür hing ein sehr breites, aber schmales Bild, das eine große Gruppe von Doctores zeigte, insgesamt neunundzwanzig. 7 Sie trugen weiße, tellerähnliche Kragen, jeder mit einer anderen Fältelung. Darüber erhoben sich ihre bärtigen Gesichter, die ernst und streng den Betrachter anblickten. 8
    Den Fenstern gegenüber hing das großartige Werk des Meisters, die Vorlesung des Doktor Tulp. Ein Bild wurde von so vielen sehr gerühmt, aber ich kannte es bisher nur aus Radierungen. Das zweite Bildnis des Meisters befand sich an der Wand daneben, rechts neben der Tür. Die Vorlesung des Doktor Deymann war in einer gedämpften Farbigkeit und solcher Überzeugungskraft, wie man sie bei keinem anderen Maler hätte finden können.
    Das vierte Bildnis stammte, wie auch das erste, nicht aus der Hand des Meisters. Es befand sich links neben der Tür. Anstelle eines Leichnams war ein Schädel dargestellt, auf den der Anatom mit dem Finger deutete. 9 Auch auf diesem Gemälde blickten die versammelten Personen ernst, ganz ohne die innere Anteilnahme, die die Bilder des Meisters so lebendig

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