Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
will es dir trotzdem verraten. Im Bild soll eine klare Ordnung herrschen, auf der einen Seite werden die Assistenten, ihnen gegenüber der Professor zu sehen sein. Allerdings würde es dem Medicus vermutlich besser gefallen, wenn ich sein großes Werk in die Mitte des Bildes setze und die Assistenten dahinter verschwinden lasse.“ Der Meister und verzog spöttisch den Mund.
„Der Professor ist wirklich eine bedeutende Persönlichkeit“, beeilte ich mich zu sagen, „Bestimmt habt Ihr in Eurem Leben schon viele wichtige Leute kennen gelernt.“
Der Meister räusperte sich und schwieg einen Augenblick, bevor er langsam antwortete.
„Es mag sein, dass einige ihn für eine wichtige Person halten, aber eine Persönlichkeit ist er deswegen noch lange nicht. Dazu sind Charakter und Bescheidenheit vonnöten. Keine dieser Eigenschaften habe ich bei dem Medicus erkennen können.“
Auf dem Rückweg zur Rozengracht musste ich über die Worte des Meisters nachdenken. Warum, so fragte ich mich, sprach er ausgerechnet über seinen großzügigsten Auftraggeber in einem so harschen Tonfall? War er nicht in seinem Urteil über den Professor etwas zu streng?
Ich war mir ganz sicher. Wenn ein Mensch solche edlen Kleider trug wie der Medicus und so erhaben sprach, dann musste auch seine Gesinnung edel und erhaben sein. Und hatte nicht der Meister über das Bildnis des Salzhändlers einmal selbst gesagt, dass sich das Wesen eines Menschen durch seine Gestik und Mimik ebenso ausdrückt wie durch sein Äußeres?
Der Meister war in gereizter Stimmung, als wir uns am folgenden Tag später wieder zur Nieuwe Waag begaben. Heute sollte die dritte und letzte Sitzung mit dem Medicus stattfinden. Als wir gerade nach einem Diener fragen wollten, der uns die Tür zum Chirurgenturm aufschließen würde, kam uns der Medicus Thomas Block entgegen.
„Seid gegrüßt, Meister Rembrandt. Professor van Campen lässt sich entschuldigen und bittet Euch um ein wenig Geduld. Vor einer halben Stunde erst kam mit einer Schiffsladung aus Italien eine Kiste voller Bücher und Instrumente. Der Professor muss zunächst den Inhalt prüfen.“
Wir setzten uns auf eine Holzbank. Der Meister nutzte die Wartezeit dazu, ein Nickerchen zu machen. Ein Bäckergeselle kam in die Halle mit einem Korb voll frischer Backwaren, die er an die Handelsleute verkaufte. Der Duft ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wie gerne hätte ich mir einen Zwieback oder ein paar Aniskekse gekauft. Aber ich wollte mit dem Geld, das mir meine Mutter vor der Abreise heimlich zugesteckt hatte, sparsam umgehen und nicht für so etwas wie Naschwerk verschwenden.
Eine ganze Stunde lang mussten wir warten, bis schließlich der Professor auftauchte. Wie zur Entschuldigung hatte er eine Hand auf die Brust gelegt.
„Mein lieber Meister Rembrandt, ich bedaure sehr, dass ich Euch warten ließ, doch ich wurde in einer dringenden Angelegenheit aufgehalten. Dafür möchte ich Euch etwas zeigen, das Ihr noch nie zuvor gesehen habt.“
Wir folgten dem Professor in sein Studierzimmer. Auf dem Schreibtisch fiel mir ein merkwürdiges Gerät ins Auge, etwa eine dreiviertel Elle hoch. Es sah aus wie ein kupferner Zylinder auf drei geschwungenen Stützen.
„Was Ihr hier vor Euch seht, ist ein Mikroskop, eine beeindruckende, optische Raffinesse. Es wurde erst vor wenigen Jahren erfunden. Ein italienischer Linsenschleifer, sein Name ist Guiseppe di Lorenzini, hat dieses Exemplar nach meinen Wünschen angefertigt. Seine Initialen könnt Ihr hier am Fuß sehen: ‘GdL’. Das eigentliche Geheimnis befindet sich jedoch im Inneren des Gehäuses. Zwei Linsen, die miteinander verbunden sind. Durch sie kann man Gegenstände, die von Natur aus klein sind, größer und näher erkennen. Nehmt zum Beispiel einmal ein menschliches Haar. So fein, dass man es mit bloßem Auge kaum erkennen kann.“
Der Professor beugte sich über den Zylinder und blinzelte vorsichtig mit einem Auge hindurch. Dann ließ er den Meister an das Gerät.
„Könnt Ihr die raue Oberfläche erkennen? Und die Haarwurzel, die so dick aussieht wie eine Tulpenzwiebel? Es ist geradezu faszinierend, wie die Struktur der Dinge bis ins kleinste Detail sichtbar wird. Dieses neuartige Instrument müsst Ihr unbedingt in meinem Bild vorstellen. Die künftigen Fortschritte in der Medizin hängen in besonderem Maße von den Forschungen und Erkenntnissen der Anatomie ab. Es soll daher für jeden Betrachter offensichtlich sein, dass ich ein Arzt
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