Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
die Kunst angeht, so musste ich feststellen, dass es bei uns in Holland nicht nur mehr Maler gibt, sondern auch weitaus bessere.“
Der Meister schien nur auf dieses Stichwort gewartet zu haben. Sofort legte er Palette und Pinsel zur Seite, wischte sich die farbverschmierten Hände an seinem Kittel ab und räumte einen Stuhl frei, auf dem ein Harnisch und ein Stapel Skizzen lag.
„Bitte, Pieter, nehmt für ein Weilchen Platz, ich habe Lust, wieder einmal mit Euch zu diskutieren. Ja, ich gebe sogar zu, dass mir unsere Streitgespräche während Eurer Abwesenheit gefehlt haben. Rebekka soll uns etwas Zwieback und selbst gemachten Holunderbeerwein herrichten. Bittest du sie darum, Samuel?“
In der Küche trug ich Rebekka die Bitte des Meisters vor, der sie mit mürrischem Gesicht nachkam. Umständlich häufte sie Zwiebackstücke in eine Schale, füllte Wein in zwei Becher und stellte alles auf ein Zinntablett.
„So, das ist genug, ein Becher für jeden reicht. Der Meister soll nicht so viel trinken, sonst wird er wieder trübsinnig und redet nur von seiner Zeit mit der seligen Saskia. Und den Leyster kann ich sowieso nicht ausstehen. Putzt sich heraus wie ein Pfau. So etwas schickt sich doch nicht für einen anständigen Maler. Außerdem benutzt er manchmal ein grässliches Parfum. Hier, Samuel, nimm du die Sachen mit nach oben, dann muss ich wenigstens nicht diese steile Treppe hinauf. Heute ist es mit meinen Beinen wieder besonders schlimm.“
Schon auf den oberen Treppenstufen hörte ich, wie die beiden Männer sich ein lautstarkes Wortgefecht lieferten.
„Mich interessieren weder Stand noch Rang, noch der Name einer Person“, beteuerte der Meister und hob beschwörend seine Hand. Er nahm einen Becher und trank einen kräftigen Schluck Holunderbeerwein. Schmatzend fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. „Ganz gleich, ob jemand Bettler oder Bürgermeister ist, jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes und wert, im Bild festgehalten zu werden. Folglich ist das Porträt höher anzusehen als das Naturstück.“
„Über diese Ansicht muss ich mich allerdings sehr wundern, mein Freund Rembrandt. Gerade Ihr solltet doch die Menschen kennen. Habt Ihr schon vergessen, wie übel einige von ihnen Euch mitgespielt haben?“, entgegnete Pieter Leyster unerbittlich, verschränkte die Arme vor der Brust und schlug die Beine übereinander. „Lasst mich ein Beispiel nennen. Stellt Euch eine Frau vor, die äußerlich schön und begehrenswert ist. Doch muss dies notwendigerweise auf ihr Inneres zutreffen? Vielleicht ist sie verschwenderisch, redet schlecht über ihre Dienstboten oder betrügt ihren Mann.“
„Jeder Mensch hat gute und schlechte Eigenschaften, wie Ihr wisst. Ein redlicher Bildnismaler wird sich alle Mühe geben, die ganze Vielfalt menschlicher Regungen darzustellen. Frömmigkeit und Sünde, Feigheit und Mut, aber auch Verfehlung und Vergebung.“
„Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, lieber Rembrandt. Aber mir genügt es nicht, nur eine Hülle darzustellen, deren Kern faulig ist. Ich will die absolute, die immerwährende Schönheit einfangen. Die Schönheit eines Menschen ist nichts als eine flüchtige Erscheinung, sie ist vergänglich. Die Natur hingegen ist immer schön. Selbst in einer verwelkenden Rose oder in einem vertrockneten Ahornblatt liegen noch Zauber und Anmut.“
Pieter Leyster nahm einen Zwieback, tauchte ihn in den Becher und kaute genüsslich.
„Pieter, Ihr wisst, wie sehr ich Eurer Können schätze“, entgegnete der Meister. „Dennoch bin ich der Ansicht, dass man Kunst nicht auf das Dekorative allein beschränken darf. Ich halte es mit dem großen Karel van Mander, der einmal gesagt hat: ‘Das Malen von menschlichen Figuren ist das Wesentliche für einen Künstler’. Unsere Aufgabe ist nicht, den äußeren Glanz von Gegenständen zu verewigen. Ein Maler soll die Seele eines Menschen auf die Leinwand bannen.“
„Die Seele, teurer Freund. Können wir denn überhaupt sicher sein, dass es sie tatsächlich gibt? Verzeiht mir diese etwas ketzerische Frage. Mir geht es eben um die Natur, um die Schöpfung an sich. Ihre Schönheit will ich zeigen und ihre Vielgestaltigkeit, die selbst im Vergehen noch voller Anziehungskraft ist. In meinen Bildern liegt die absolute Wahrheit. Das ist der Grund, warum das Stillleben dem Porträt überlegen ist.“
Ich hatte mich auf einen Schemel neben das Farbenregal gesetzt und verfolgte aufmerksam den Disput zwischen den beiden
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