Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
mich, warum du ausgerechnet bei einem Meister des Porträts dein Handwerk erlernst. Warum folgst du nicht deinem Stern und wirst Stilllebenmaler?“
Stockend suchte ich nach den richtigen Worten. Erneut kam mir der Maler zuvor.
„Ich habe dich letztens beobachtet, als ich bei Deinem Meister war und wir über die Gattungen in der Malerei diskutiert haben. So wie du an seinen Lippen gehangen hast, musst du Rembrandt sehr verehren. Du willst unbedingt auch Bildnismaler werden, habe ich Recht?“
Ich nickte und war froh, dass ich diese Antwort nicht selbst hatte geben müssen. Leyster lächelte nachsichtig und legte vertraulich einen Arm um meine Schultern.
„Lass mich dir wenigstens erklären, warum ich Blumen nebeneinander male, die zu ganz unterschiedlichen Zeiten blühen. Zwar achte ich die Schönheit der Natur, aber ich möchte mir durch ihre Gesetze keinerlei Grenzen auferlegen. Ich will die Zeit besiegen. Und sie gleichzeitig festhalten. Mit der Überwindung des Gegenwärtigen erhalten die Dinge im Bild ewige Gültigkeit.“
„Ich werde zu Hause in Ruhe über Eure Ausführungen nachdenken“, antwortete ich verlegen und fühlte mich dumm und ungebildet. Dieser Mann war auf seinem Gebiet offensichtlich ein gefragter Maler, und ein wohlhabender dazu, wie an seiner kostbaren Kleidung und dem vornehmen Haus zu erkennen war.
„Geertghe, bring uns eine kleine Erfrischung ins Kabinett!“, rief er in den hinteren Teil der Diele. „Komm mit, Samuel, ich zeige dir jetzt das Atelier.“
Wir gingen die Treppe hinauf in das zweite Stockwerk. Die Werkstatt war hell und groß, mindestens doppelt so groß wie die des Meisters. Vor jedem der vier Fenster war eine Staffelei aufgestellt. Zwei der Schüler kopierten Werke, die augenscheinlich von dem Meister selbst stammten. Die beiden anderen waren damit beschäftigt, auf einem Tisch, den ein kostbarer Damaststoff zierte, eine Karaffe mit Wein, eine Efeuranke und ein Blumengebinde kunstvoll anzuordnen.
Die Schüler warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu und schauten argwöhnisch zu mir herüber, setzten aber ihre Arbeit gleich wieder fort. Sie mochten ungefähr in meinem Alter sein, trugen alle dieselben dunkelvioletten Malerkittel und weiße Hauben. Pieter Leyster ging zu jedem von ihnen hin, gab hier einen Ratschlag, nahm dort den Pinsel selbst in die Hand und erschien mir in seinen liebevollen Erklärungen wie ein fürsorglicher Vater.
Einige Minuten später stiegen wir wieder hinunter in den ersten Stock und gelangten in einen Raum, der ganz im chinesischen Stil eingerichtet war. An den Wänden glänzten schwarz-goldene, mit Intarsien verzierte Holztäfelungen, die Landschaften und Tiere zeigten. Zwei zierliche Stühle, eine Kommode und kleiner runder Tisch mit jadefarbenen Edelsteineinlagen waren die einzigen Möbelstücke.
„Komm, setz dich“, forderte Leyster mich auf, „du bist doch sicher durstig. Um diese Zeit nehme ich immer einen Tee zu mir. Hast du schon einmal welchen getrunken?“
Ich verneinte. Von diesem neuen Getränk hatte ich bisher nur gehört. Ich wusste, dass es aus Indien und China stammte und man dafür einen hohen Preis zahlen musste. Der Maler schenkte uns aus einer zierlichen weißen Porzellankanne ein, die ringsum mit Blumen und fliegenden Vögeln bemalt war. Die Tasse war in derselben Manier gearbeitet. Sie lag so leicht in der Hand, dass ich fürchtete, sie könne vom Druck meiner Finger zerbrechen. Die Farbe des Tees erinnerte mich an dunklen Honig. Meister Pieter reichte mir eine Silberschale mit Kandisstücken.
„Du musst einen Kandis in den Mund nehmen und danach den heißen Tee trinken. Einfach köstlich, wie der Zucker langsam auf der Zunge schmilzt.“
Der Tee hatte einen kräftigen, würzigen Duft, obwohl ich nicht hätte sagen können, dass er mir wirklich schmeckte. Ich nahm noch ein weiteres Stückchen Zucker, um den bitteren Geschmack im Mund loszuwerden.
Offensichtlich hatte die sommerliche Hitze jetzt auch das Innere des Hauses erreicht. Auf meiner Stirn fühlte ich Schweißperlen. Pieter Leyster zog einen Fächer mit Pfauenfedern aus seinem Hausmantel und fächelte sich mit einer nachlässigen Handbewegung Luft zu.
„Jetzt bin ich genau in der richtigen Stimmung, um mir dein Bild anzusehen“, sagte er und blickte mich erwartungsvoll an. Ich holte Cornelias Porträt hervor und zitterte ein wenig bei dem Gedanken, dass er es für misslungen halten könnte.
Behutsam strich er mit den Fingern über die Leinwand.
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