Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
der berühmteste Anatom von Amsterdam, wahrscheinlich von ganz Europa. Er ist ein sehr vornehmer und gebildeter Mann und stammt aus einer reichen Familie. Hast du gesehen, wie herrlich die Seide seines Anzugs fällt? Die bestickte Taftschärpe mit Fransen ist bestimmt nach der neuesten französischen Mode. Ganz sicher hat der Medicus den besten Schneider der Stadt.“
Mir erschien es erforderlich, den Professor Rebekka gegenüber in Schutz zu nehmen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was die Magd gegen einen Mann eingenommen hatte, der seit kurzem sogar der erste Bürger von Amsterdam war und für alle anderen ein Vorbild.
„Pah, Seidenstoffe, teure Schneider. Alles nur Putz. Ich kenne solche Wichtigtuer“, knurrte Rebekka, als sie mir das Zinntablett mit dem Schälchen Mandelzwieback, der Karaffe Kräuterschnaps und zwei Gläsern reichte. Ihre Stimme wurde laut, ihr Blick zornig.
„Ich habe als junges Mädchen bei einem Bankier gearbeitet. Das war lange, bevor ich bei dem Meister und seiner seligen Frau in den Dienst trat. Solche Leute glauben wirklich, dass sie die Welt kaufen können, bloß weil sie zufällig in eine wohlhabende Familie hineingeboren wurden und nicht in die von armen Torfstechern. Doch am Jüngsten Tag wird unser Herrgott keinen Unterschied machen zwischen einem Edelmann und einem Bettler.“
Bereits auf dem oberen Treppenabsatz konnte ich die hohe, energische Stimme des Professors hören. Es war beeindruckend, wie er es verstand, seine Gedanken überzeugend und unnachahmlich vorzutragen.
„… die Zeitung war voll davon, bestimmt habt Ihr davon gelesen. Es wurde höchste Zeit, dass in Amsterdam andere Sitten eingeführt wurden. Wegen ihrer allzu nachlässigen Strafverfolgung hatte der Ruf der Stadt bereits in Europa an Ansehen verloren. Was nicht zuletzt die Schuld unseres damaligen Polizeihauptmanns war. Dieser Mensch hielt sich lieber in Haarlem im eleganten Palais einer französischen Kokotte auf und zeigte sich mit ihr in aller Öffentlichkeit, als hier, an seinem eigentlichen Platz, für Recht und Ordnung zu sorgen.“
Der Meister nahm mir das Tablett aus der Hand und stellte es auf das Tischchen mit dem Werkzeug.
„Ich bedaure, Professor, aber um solche Nachrichten kümmere ich mich nicht. Das Zeitungslesen würde mich allzu sehr von der Arbeit abhalten. Sehr zum Wohl, der Kräuterlikör ist übrigens ein altes Familienrezept aus Leiden.“
„Auf das Eurige, verehrter Meister. Hm, köstlich, ich werde veranlassen, dass man bei der nächsten Versammlung unserer Gilde anstelle von Wein auch einmal so etwas serviert.“
Weil der Meister nicht untätig herumstehen wollte, begab er wieder an die Staffelei. Unterdessen lehnte sich der Professor bequem im Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Medicus Schuhe mit einer kräftigen Holzsohle und erhöhtem Absatz trug.
„Sein Nachfolger hat die Zahl der Wachleute in der Stadt verdreifacht“, fuhr der Professor mit seinem Vortrag fort. „Seit seinem Amtsantritt im März gab es kaum noch Straftaten. Nie waren im Rasphuis mehr Insassen als jetzt, und nie im Spinhuis mehr Landstreicherinnen und Diebinnen. Im Übrigen, der neue Polizeihauptmann ist zufällig auch mein Schwager. Im vergangenen Herbst hat er sich mit meiner jüngsten Schwester verheiratet.“
Mir fiel wieder ein, dass ich den Professor einmal in Begleitung seines Schwagers gesehen hatte, als sie zusammen aus der Schenke „De Zeven Fleschjes“ herauskamen. Im Sommer, als Cornelia und ich von unseren Spaziergang am Amsteldijk zurückkamen.
Der Meister schien nicht richtig zuzuhören, sondern war gänzlich auf seine Arbeit konzentriert. Nur gelegentlich warf er dem Medicus von der Seite einen Blick zu oder nickte beiläufig.
„Als Bürgermeister werde ich die Polizei mit ihrer neuen Strategie der entschiedenen Strenge unterstützen, jede Straftat muss umgehend verfolgt werden. Härte und Unerbittlichkeit, das ist die einzige Sprache, die das Volk versteht.“
„Volkes Stimme ist Gottes Wort“, murmelte der Meister gedankenverloren. Doch dem Professor schien diese Unaufmerksamkeit überhaupt nicht aufgefallen zu sein. Er trug seine Ansichten mit einer solchen Inbrunst vor, als würde er vor einem großen Publikum sprechen.
„Das Gesetz muss respektiert werden, nicht, weil es gerecht ist, sondern weil es Gesetz ist. Daher bin ich der Ansicht, dass Abschreckung zwar drastisch, aber nicht unmäßig sein sollte. Stellt Euch
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