Remember
längst damit abgefunden, dass er nie dazugehören würde. Doch mittlerweile fühlte er einen regelrechten Hass, wenn er beobachtete, wie die drei miteinander herumalberten. Und ganz besonders ekelte es ihn, wenn Annabel und Michael sich verliebte Blicke zuwarfen.
George ließ sich etwas zurückfallen, blieb jedoch in Sichtweite, während Annabel, Eric und Michael die Fahrkarten lösten und dann vor zu den Gleisen gingen. Als er sah, mit welch traumwandlerischer Sicherheit die drei sich zwischen den anderen Reisenden bewegten, spürte George einen stechenden Schmerz im Kopf. Alles um ihn herum verschwamm, so als würde er durch einen dünnen Wasserschleier schauen. Das muss die Hitze sein, dachte er, blieb stehen und rieb sich die Augen, bis sein Blickfeld wieder klar war. Dann ging er weiter.
Doch als jemand gegen seine Schulter stieß und gleichzeitig eine weitere Schmerzwelle durch seinen Schädel jagte, verlor er das Gleichgewicht und musste sich an einem Pfeiler abstützen. Die Schmerzen waren jetzt unerträglich und keinen der Gutmenschen schien das auch nur im Geringsten zu interessieren. Sie gingen fröhlich weiter. Sahen sich nicht einmal um.
Du bist ein Nichts! Ich wünschte, du wärst nie geboren.
Da war sie wieder. Und ihre Stimme hallte in seinem Schädel wie eine riesige Kirchenglocke. Lauter und lauter schrie sie auf ihn ein. Er konnte ihr Parfüm und den Rauch ihrer Zigarette riechen. George schloss die Augen, aber nichts, was er tat oder dachte, konnte die Stimme in seinem Kopf zum Schweigen bringen. Als er sie wieder öffnete, entlud sich sein brennender Hass. »Ich verachte euch. Ihr widert mich an. Ich wünschte, ihr würdet fühlen, was ich fühle«, presste er durch seine zusammengebissenen Zähne in die Menge hinaus.
»Netter Hintern, was?«
Annabel schaute Eric verschämt an. »Netter was?«
»Hintern. Du hast dir doch gerade Michaels Hintern angeschaut.«
Michael ging ein paar Meter vor ihnen.
»Hab ich nicht.«
»Und ob du hast, Süße. Jeder hier auf dem Bahnhof hat’s gesehen. Mach doch gleich eine Zeichnung von ihm.«
Annabel lachte verlegen und Michael drehte sich zu ihnen um, grinste sie an.
Gott, hoffentlich hat er das nicht gehört.
Weil Michael für ein paar Sekunden nicht auf das achtete, was vor ihm geschah, bemerkte er nicht, dass ein Gepäckträger mit einem Handwagen voller hoch aufgetürmter Koffer über den Bahnsteig direkt auf ihn zukam.
»Michael, pass auf!«, rief Annabel und wedelte mit den Armen. Als er kapierte, was los war, und nach vorne schaute, war es bereits zu spät.
Michael hatte keine Chance mehr, dem Wagen auszuweichen. Schon befand sich der abgenutzte Griff eines alten Lederkoffers unmittelbar vor seinem Gesicht. Jeden Moment würde ihn der Wagen überrollen und er von schweren Koffern begraben werden, da war sich Annabel sicher.
Aber nichts von alledem geschah.
Annabel stockte der Atem und sie war unfähig, sich zu rühren, als alles wie in Zeitlupe vor ihren Augen abzulaufen schien.
Denn während Michael wie angewurzelt stehen blieb, sah es so aus, als würde der Wagen samt Gepäck mit ihm verschmelzen. Koffer für Koffer, Tasche für Tasche. Und als anschließend auch der Gepäckträger durch ihn hindurchmarschierte wie durch ein Hologramm, hatte Annabel endgültig das Gefühl, als würde ihr Verstand wie dünnes Glas in winzige Teile zerspringen.
Dann war es vorbei. Der Gepäckträger schob seinen Wagen weiter, als sei nichts geschehen, während Michael noch immer wie gelähmt auf dem Bahnsteig stand und blankes Entsetzen sich auf seinem Gesicht spiegelte. Erst als der schwebende Luftballon eines kleinen Jungen sein Gesicht berührte, löste sich seine Starre. Reflexartig fasste er sich an den Kopf und tastete sein Gesicht ab.
»Was, um Gottes willen, war das, Michael?« Annabel war zu ihm gerannt und stand nun völlig geschockt neben ihm. Einen Moment später war auch Eric bei ihnen, wortlos und mit zitternden Händen.
Michael sah sich hektisch auf dem Bahnsteig um. Als würde die Antwort hinter einer Ecke lauern und frech grinsen. »Wo ist George?«, brachte er mühsam heraus. »Wir dürfen den Zug nicht verpassen.«
George grinste nicht und er lauerte auch hinter keiner Ecke. Er lehnte mit dem Rücken an einem Pfeiler, frei von Schmerzen und mit einer äußerlichen Ruhe, die nicht ansatzweise erahnen ließ, wie es in seinem Inneren brodelte. Er hatte alles mitangesehen und ungläubig jede einzelne Sekunde genossen. Zuerst mit einem
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