Remember
fehlte jede Spur.
»Ich geh noch mal rein«, sagte Michael kurz entschlossen. Gleich darauf drängelte er sich durch die Gänge, kontrollierte jedes Abteil und sogar die Toilette.
»Michael, beeil dich!« Von draußen hörte er Erics Stimme. »Der Zug fährt gleich weiter!«
Michael lief los und kam sich vor wie bei einem Rugbyspiel, als er ein paar Leute auf dem Gang beiseiteschubsen musste, die ihm den Weg versperrten. Im letzten Moment sprang er aus dem Waggon. Die Türen schlossen sich und der Zug setzte sich ruckelnd in Bewegung.
»Das gibt es doch nicht«, sagte er, während der Zug langsam den Bahnhof verließ. »Der kann doch nicht einfach so verschwinden.«
»Vielleicht haben sie ihn geschnappt«, sagte Eric. »Oder ein Schaffner hat ihn erkannt.«
»Du meinst, es gibt mittlerweile doch so was wie Steckbriefe von uns?«, fragte Annabel.
»Nur weil es nicht in der Times oder einer anderen Zeitung steht, heißt das nicht, dass sie nicht nach uns suchen«, sagte Michael und schaute sich ein letztes Mal auf dem Bahnsteig um. Dann gingen sie langsam in Richtung Bahnhofshalle.
»Und wenn er abgehauen ist?«, fragte Eric. »Vielleicht konnte er es einfach nicht mehr ertragen und ist durchgedreht. Verstehen könnte ich es.«
Annabel legte einen Arm um ihn.
»Durchgedreht? Ich weiß nicht. Den Eindruck hatte ich eigentlich nicht. Aber er hatte mal davon gesprochen, dass es klüger wäre, sich zu verstecken. Und vielleicht denkt er, dass wir ihm dabei nur im Weg sind.«
Michael legte die Stirn in Falten. »Kann schon sein. Gestern Abend, als wir uns dazu entschlossen, weiter den Hinweisen zu folgen und nach London zurückzukehren, schien er jedenfalls nicht besonders begeistert gewesen zu sein. Auch wenn er mal wieder nichts dazu gesagt hat.«
»Aber einfach so abzuhauen, ohne ein Wort… das ist einfach nicht okay!« Eric seufzte und Michael fragte sich, warum ausgerechnet er Georges Abwesenheit zu bedauern schien.
»Hört mal«, sagte Annabel. »Das klingt jetzt vielleicht paranoid, aber es gäbe da noch eine Möglichkeit. Was wäre, wenn George versuchen würde, auf eigene Faust weiterzumachen? Ohne uns?«
»Du meinst, den Hinweisen nachgehen?« Michael dachte wieder daran, wie George sich beim Entschlüsseln der letzten Rätsel verhalten, wie er mit ihm gespielt hatte. Theoretisch traute er ihm so etwas zu. Aber welchen Grund sollte er haben?
»Und wie soll er an die Hinweise rankommen?«, fragte Eric. »Ohne den Schlüssel?«
»Stimmt«, pflichtete Annabel ihm bei. »Den Schlüssel haben wir. Und er wird ja wohl kaum das Schließfach aufbrechen.«
Alle drei schauten sich an. Dann liefen sie los.
Durch den Haupteingang betraten sie die große Bahnhofshalle. Laut und hektisch war es hier. Kein Ort, an dem sie länger als nötig verweilen wollten.
»Jemand eine Ahnung, wo sich die Schließfächer befinden?«, fragte Annabel. Sie war nervös. Nicht so sehr wegen ihrer Idee, George könnte das Schloss aufbrechen und vor ihnen an die Hinweise im Schließfach gelangen. Vielmehr wegen der Ereignisse auf dem Bahnhof von Willowsend und dem, was dort mit Michael passiert war. Während sie sich nach einem Hinweis auf die Schließfächer umsah, achtete sie darauf, keinem der Reisenden zu nahe zu kommen. Sie hatte plötzlich Angst, jemanden zu berühren oder, was weitaus schrecklicher gewesen wäre, nicht berühren zu können.
»Dahinten«, sagte Michael und deutete auf ein kleines Schild in der Mitte der Halle.
Über eine breite Treppe gelangten sie auf die untere Ebene und weiter zu einem Schild mit dem Hinweis Gepäckaufbewahrung .
Sie standen in einem Seitenarm der großen Halle vor einer langen Reihe von Schließfächern. Zwei finster aussehende Gestalten gingen an ihnen vorbei und deponierten eine kleine Tasche in einem Fach am Ende der Reihe. Sie stritten um den Schlüssel, als sie sich wieder auf den Weg in die Halle machten. Eine kleine Gruppe bunt gekleideter Hippies tänzelte gut gelaunt an ihnen vorbei. Einer von ihnen schlug selig lächelnd ein Tamburin, aber Annabel hatte ausnahmsweise keine Augen für sie. Ihr Blick war auf die Schließfachreihen gerichtet.
»Das ist es«, sagte sie und tippte auf das Schließfach mit der Nummer elf. Es war noch ungeöffnet und das Schloss unversehrt. Jetzt kam sie sich ein wenig albern vor, dass sie George verdächtigt hatte.
Michael kramte den Schlüssel aus seiner Tasche. Er wirkte angespannt.
»Soll ich?«, fragte er zögernd.
Annabel und Eric
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