Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
kritischen liberalen Theologie bis hin zu fundamentalistischen Studien. In friedlicher Eintracht standen dort die Jahrbücher des Zentralverbandes der Friedensgemeinden neben den Studien hochrangiger Wissenschaftler wie Heikki Räsänen, Erik Wikström, Risto Uro, John Dominic Crossan, Elaine Pagels, Kari Kuula, Ismo Dunderberg, Wille Riekkinen. Auf einem Stapel lagen Ausgaben der ›Biblical Archaeology Review‹.
Karri ging zu seinem Computer und gab den Namen der israelischen Stiftung in eine Suchmaschine ein. The Holy Land Christian Foundation .
Als Suchergebnis erhielt er Seiten, auf denen die einzelnen Wörter zusammenhanglos auftauchten. Karri gab darauf noch den Namen des Mannes ein, obwohl er genau wusste, was passieren würde. Ezer Kaplans gab es seitenweise.
Karri lehnte sich zurück und holte tief Luft. Was konnte der Mann von Saara wollen? Zu ihren Forschungsgegenständen gehörten unter anderem Texte aus Oxyrhynchos, Qumran und Nag Hammadi. Hinter der scheinbar staubtrockenen Haarspalterei ihrer Untersuchungen steckten zum Teil sehr interessante Dinge. Zum Beispiel wurden die Handschriften von Oxyrhynchos vor gut hundert Jahren auf einer Müllhalde entdeckt, die von den Ägyptern vor zweitausend Jahren benutzt worden war. Mit Hilfe der neuen Technik hatte man erst jetzt die Texte einiger Papyrusrollen sichtbar machen können, weshalb das Team von Luuk van Dijk interessante Zeiten vor sich hatte. Die Textfunde von Nag Hammadi und Qumran wiederum waren ursprünglich in den vierziger Jahren gemacht worden, aber in beiden Fällen hatte es Jahre oder gar Jahrzehnte gedauert, bis das Material einer größeren Wissenschaftsgemeinde zugänglich gemacht werden konnte. Entsprechend wild waren die Gerüchte und Behauptungen über die Vertuschung von Erkenntnissen gewesen.
Karris Unwohlsein vertiefte sich. Der Besuch des Israeli war wie ein Traum. Konnte etwas, das mit Saaras Forschungsarbeit zu tun hatte, der Grund für die Entführung sein? Nur ungern gestand sich Karri ein, dass er nicht genau wusste, worum es diesmal bei der Exkursion ging. Aber ihm war doch die Vorstellung geblieben, dass Saara nach ihrer Rückkehr aus Syrien – und vor der Abreise nach Jordanien – gerade aus beruflichen Gründen ihre Freundinnen Lea, Erja und Anne-Kristiina treffen wollte. Ausgerechnet die alten Freundinnen, keine Kollegen, keinen von den zahlreichen Universitätsleuten und Forschern, die sie in den letzten Jahren überall auf der Welt kennen gelernt hatte.
Karri nahm die Visitenkarte von Johanna Vahtera, betrachtete sie eine Weile und wählte dann die Nummer darauf.
Die Frau wirkte hektisch, als sie sich meldete. »Stimmt es, dass Lea Alavuoti ermordet worden ist?«, wollte Karri wissen.
»Ich habe jetzt keine Zeit zu reden«, sagte Vahtera. »Ich rufe Sie später zurück.«
Im Hintergrund hörte Karri Männerstimmen. Es schnürte ihm die Kehle zu, als er sich vorstellte, wo Johanna Vahtera sich gerade befand: an dem Ort, an dem Lea umgebracht worden war.
Er legte das Handy zur Seite. Zum ersten Mal störte es ihn, dass keine Vorhänge vor den Fenstern hingen. Er kam sich vor wie in einem erleuchteten Schaufenster.
Rasch drehte er sich um und ging zu Saaras Schreibtisch. Er bückte sich, um das Netzkabel des Computers einzustecken. Als er sich aufrichtete, sah er, dass eine Schreibtischschublade nicht ganz geschlossen war. Er zog sie komplett auf und wollte sie schon wieder zuschieben, da sah er in der Ablage für die Stifte die Halskette mit dem Kreuz.
Karri nahm das Kreuz in die Hand. Normalerweise trug Saara es immer – außer in den arabischen Ländern, denn sie wollte mit ihrem Glaubensbekenntnis niemanden provozieren.
Nachdenklich legte Karri den Anhänger in die Schublade zurück. Sein Blick fiel auf das eingerahmte, aramäisch beschriebene Stück einer Textrolle an der Wand. Es war nicht echt, sondern eine mittelalterliche Kopie, die Saara bei einem Antiquitätenhändler in Jerusalem gekauft hatte.
Der Antiquitätenhändler erinnerte Karri wieder an Piruvaara , den Teufelsberg. Ob jemand von denen, die am Freitag mit Saara über religiöse Angelegenheiten gesprochen hatten, den Hinweis auf dem Videoband deuten könnte?
Doch es war zu spät, sie danach zu fragen.
25
In ihren mit Plastikschutz versehenen Schuhen folgte Johanna dem Klebeband auf dem Fußboden. Die Spurensicherung hatte damit den Bereich markiert, den sie schon untersucht hatte. Was außerhalb lag, durfte noch nicht betreten
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