Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
werden.
Im Gehen rekonstruierte Johanna die Ereignisse. Es hatte aufgehört zu schneien, vor den Fenstern gähnte die Dunkelheit, und Johanna sah ihr Spiegelbild in den Scheiben. In ihrem Papieroverall sah sie aus wie ein Gespenst, zumal sie die Kapuze aufgezogen hatte, damit auch kein einziges Haar auf den Tatort fiel.
Hedu und Vuokko standen im Flur herum und unterhielten sich über ein Eishockey-Match vom Vorabend. In Johannas Ohren verwandelten sich ihre Worte in ein unbegreifliches Kauderwelsch. Der Schlafmangel verursachte ihr ein Dröhnen im Hinterkopf, und dass ein aufkeimender Migräneanfall jedesmal Kreissägemuster in ihr Blickfeld zeichnete, wenn sie in die Scheinwerfer der Spurensicherung sah, machte es nicht besser. Der Tatort wirkte durch das Licht wie ein irreales Studio – was in grellem Kontrast zur nasskalten Finsternis vor dem Haus stand.
Die Tote lag bereits im Leichensack mit Reißverschluss, bereit zum Abtransport ins rechtsmedizinische Institut in Oulu, wo die Obduktion vorgenommen wurde. Die zwei kriminaltechnischen Ermittler aus Oulu hatten zuvor zusammen mit Kupiainen, der in seinem Hotelzimmer alarmiert worden war, mit dem speziell dafür vorgesehenen Aluminiumknopf Schmauchspuren von der Haut der Toten entnommen, mit dem Spezialtape Faserspuren gesichert, die Kleider des Opfers in Tüten verstaut sowie Hände und Kopf mit Plastikbeuteln verhüllt, damit keine Partikel verloren gingen. Johanna hatte ihnen ihre Beobachtungen in allen Einzelheiten mitgeteilt, um ein vorläufiges Bild davon zu vermitteln, was im Haus geschehen war.
Vorsichtig hatten die technischen Ermittler die Kugel aus der Küchenwand entfernt, wo sie stecken geblieben war, nachdem sie das Opfer durchdrungen hatte. Die dazugehörige Hülse hatte im Flur gelegen, in einer dunklen Ecke. Johanna fragte sich, warum der Täter die Hülse nicht mitgenommen hatte, obwohl er mit Sicherheit wusste, wie hilfreich sie war, um die Tatwaffe zu finden. Hatte er es so eilig gehabt? Auf dem Fußboden im Flur hatte auch eine Windjacke gelegen, die entweder von der Garderobe gefallen oder direkt auf den Boden geworfen worden war. Mittels elektrisch magnetisierter Plastikfolie hatte man darauf Fußabdrücke sichtbar machen können. Diese wiederum deuteten darauf hin, dass die Ratte bei ihrem Opfer am Küchentisch gewesen war, vermutlich nach dem Schuss. Am Hals der Toten waren Spuren von einer heruntergerissenen Halskette zu erkennen. Das passte ins Bild und war von Bedeutung, ganz gleich ob an der Kette ein Kreuz gehangen hatte oder nicht.
»Hedu, kümmere du dich gleich am Morgen um das Schuhwerk«, sagte Johanna. In der Praxis bedeutete das einen Vergleich der Fußspuren der Ratte mit dem Schuharchiv im Polizeicomputer. Dort waren über Jahre hinweg alle Modelle gespeichert worden, die Importeure und einheimische Hersteller der Polizei übergeben hatten. Die Abnutzung der Sohlen erfolgte individuell, weshalb ein Vergleich mit den Spuren am Tatort möglich war.
»Auf dem Küchenfußboden gestorbene Frau, Einschussloch in der Stirn und Austrittsöffnung am Hinterkopf, Schusswaffe nicht am Tatort«, diktierte einer der technischen Ermittler in sein Aufnahmegerät und machte gleichzeitig Fotos mit der Digitalkamera. »Die Wohnung sauber, keine Spuren eines Kampfes oder eines Einbruchs, die Fenster unversehrt. Wahrscheinliche Schussrichtung von der Tür zum Flur her …«
Der andere Mann von der Spurensicherung machte Aufnahmen mit der Videokamera und sprach seine Kommentare in deren Mikrofon. Beide hielten allgemeine erste Beobachtungen fest. Später würde sich das Augenmerk auf die exakte Suche nach Fingerabdrücken, Kleinstpartikeln und DNA-Spuren richten.
In einem schwarzen Hartschalenkoffer im Flur lagen Plastikbeutel, die zum größten Teil Leas Kleidungsstücke enthielten. Ein Beutel weckte Johannas besonderes Interesse, es war der mit dem Mobiltelefon.
Die Ratte hatte die Leiche nicht bewegt, und Kampfspuren waren ebenfalls nicht zu sehen. Lea hatte also im Moment des Schusses am Küchentisch gestanden. Entweder hatte sie zuvor der Ratte die Tür geöffnet und also einen Menschen ins Haus gelassen, den sie kannte, oder aber der Täter war heimlich durch die unverschlossene Tür gekommen und hatte Lea in der Küche überrascht.
Hedu und Vuokko hantierten im Flur, Johanna hörte ihr übermüdetes Geplauder, gerade waren sie bei Tiger Woods und irgendeinem Ausgleich angekommen. Johanna fiel plötzlich ein, dass Golf Hedus
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