Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz

Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz

Titel: Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
Vom Netzwerk:
große Leidenschaft war, aber von Vuokko hätte sie das nicht gedacht. Allerdings huschte ihr auch bei der Vorstellung von Hedu in seiner ewig gleichen Windjacke und seinen Terylenhosen auf dem Green zwischen lauter Herren in karierten Hosen ein kurzes Lächeln übers Gesicht.
    »Hedu, geh doch schlafen«, sagte sie und kniff kurz die Augen zusammen. »Du, Vuokko, überbringst den Angehörigen die Todesnachricht.«
    Johanna machte sich auf den Weg zur Polizeiwache. Die Aufregung, die durch die neue Situation in ihr ausgelöst worden war, wollte sich einfach nicht legen. Die Bemerkung von Karri Vuorio, die Morde könnten etwas mit den Forschungen seiner Frau und dem Besuch des Israeli zu tun haben, war ihr anfangs wie blanke Fantasie vorgekommen, aber jetzt begann sie, ernsthaft darüber nachzudenken.
    Am meisten beschäftigte sie die Tatsache, dass allen Opfern der Halsschmuck abgerissen worden war. War es möglich, dass auch Lea ein Kreuz getragen hatte, wie die anderen Schwestern Zions? Es musste kein direkter Zusammenhang zwischen den Morden und der Religion bestehen, aber ein religiöser Schatten schien über all den Vorfällen zu liegen.
    In religiösen Dingen hatte sich Johanna nie eine besonders individuelle Meinung gebildet. Als Kind hatte sie jeden Abend ein Gebet gesprochen, und wenn sie es mal vergessen hatte, holte sie es am nächsten Tag nach, damit der liebe Gott ihr nicht böse war und sie weiterhin beschützte.
    Das Gefährliche an der Religion waren die absoluten Wahrheiten, denn in der Welt war alles relativ. Anstatt Millionen von Menschen vor dem Aids-Tod zu retten, entschied sich der Papst lieber für die reine Lehre. Einst hatte die unfehlbare Kirche die These für Ketzerei gehalten, die Sonne würde von der Erde umkreist. – Wenn sich die Kirche schon in solchen Dingen irrte, wo konnte sie sich dann nicht sonst noch täuschen?
    In ihrem Psychologiestudium war Johanna auch auf die Neurotheologie gestoßen, derzufolge die Neigung zu religiösen Erfahrungen ein im Menschen eingebautes biologisches Phänomen war, ein Produkt der Evolution: Wir wollen an etwas glauben. Warum – darauf gab es bislang keine erschöpfende Antwort. Aber man hatte damit eine Erklärung, warum es so eine riesige Menge an Glaubensrichtungen gab und warum sie alle ihre Anhänger hatten.
    Johanna war zurückhaltend gegenüber der Methode der Gehirnforscher, das Verhalten des Menschen allein durch die elektrochemischen Vorgänge im Gehirn zu erklären. Manche erklärten auch Kriminalität auf diese Weise: Aggression und böse Taten rührten ausschließlich von Funktionsstörungen des Gehirns her und ließen sich letzten Endes medikamentös behandeln.
    Johanna mochte kein Gedankenmodell, das jegliche Moral und die Bedeutung des Gewissens leugnete. Dafür hatte sie zu viel Böses durch Menschenhand gesehen, zu viele Gewaltopfer und Gewalttäter. Ein Schuldiger gehörte ins Gefängnis und konnte nicht durch Medikamente »geheilt« werden.
    Insofern hielt sie auch den Glauben ganz und gar nicht für eine biologische Notwendigkeit, die im Gehirn nistete. Aber wenn Gott die Welt und die Menschen erschaffen hatte, warum ließ er dann auch das Böse geschehen? Worin bestand der Sinn all des Leids?
    Nach dem Tsunami in Asien hatten sich die Bischöfe und Pfarrer fragen lassen müssen, warum Gott so etwas Schreckliches zulassen konnte. Johanna hätte das jedesmal fragen können, wenn sie bei ihrer Arbeit einen ermordeten Menschen sah. Das Böse, die Gnade, Vergebung und andere religiöse Begriffe hatten im Polizeialltag eine wesentlich konkretere Bedeutung als in der Kirche und in Gemeindezirkeln, wo es angenehm nach Kaffee duftete, dachte Johanna.
    Tötungsdelikte innerhalb der Familien, Angriffe mit dem Messer auf zufällig vorbeikommende Passanten und die blinde Gewalt jugendlicher Gangs spiegelten den rasch sich vollziehenden Niedergang des Wohlfahrtsstaates wider. In einem Ranking für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit glänzte Finnland mit einem Spitzenplatz, aber auf der anderen Seite nahm das Land auch eine Spitzenposition in der Gewaltstatistik ein. Eine wachsende Zahl von Außenseitern der Gesellschaft sah keine Notwendigkeit, die Kulisse des schönen »Volksheims« aufrechtzuerhalten. Dem Verfall der Moral begegnete Johanna bei ihrer Arbeit jeden Tag.
    Sie fuhr zusammen, als sie merkte, wie weit sie in Gedanken abgeschweift war. Das konnte sie sich im Moment überhaupt nicht leisten.
26
    Es war kälter geworden, und auf

Weitere Kostenlose Bücher