Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
du, was das für meine Karriere bedeutet? Für den Rest meines Lebens werde ich als Narr gelten. Die ganze Polizei Schwedens wird über mich lachen.« »Tut mir leid, wenn hundert Menschenleben und die Zukunft Finnlands sich ungünstig mit deinen Karriereträumen überschneiden«, sagte Timo trocken, ohne Navarro auch nur eines Blickes zu würdigen. »Bald werden Hubschrauber und Spezialeinheiten hier sein«, fuhr Navarro fort. »Du wirst auf jeden Fall geschnappt, und dann kann dir von Helsinki aus keiner mehr helfen ...«
»Das spielt keine Rolle. Hauptsache, wir schaffen es, diesen Job hier zu erledigen.«
An einer Kreuzung im Wald befahl Timo, rechts abzubiegen. Der Weg wurde noch schmaler und führte in einen finsteren Waldabschnitt mit hohen, dicht beieinanderstehenden Fichten.
Plötzlich weitete sich der Weg zu einer kleinen Lichtung, und Timo bedeutete Navarro, anzuhalten.
Am Rand der Lichtung stand ein verlassen wirkender Lieferwagen, ein metallicgraues, eckiges Modell von Renault. Timo ließ den Blick über den Wald ringsum schweifen. Es war nichts zu sehen, aber das war eigentlich das Schlimmste. Hinter den Bäumen konnte alles Mögliche lauern. »Fahr rückwärts an die Hecktür des Lieferwagens heran und mach den Motor aus ...« Timo merkte, wie er intuitiv die Stimme senkte. Navarro gehorchte mit nervösen Lenkbewegungen. Dann zog Timo den Schlüssel aus dem Zündschloss und befahl seinem Kollegen: »Aussteigen!«
Er hielt die Waffe gezückt, scheinbar um Navarro in Schach zu halten, aber in Wahrheit wegen der Gefahr, in der sie sich an diesem Ort womöglich befanden. Langsam gingen sie um den Lieferwagen herum und blickten hinein. Keine Spur von einem Menschen.
Timo spähte noch eine Weile in den dunklen Wald. Bald würden sich hier schwedische Polizisten anpirschen.
Schließlich machte er sich daran, die Anweisungen weiter zu befolgen. Sie konnten aus weiter Ferne gekommen sein - oder aus unmittelbarer Nähe.
Er legte die Hand auf den Griff der Hecktür und öffnete sie langsam mit vorgehaltener Waffe. Blendend helles Licht schlug ihm entgegen. Nachdem sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah er, dass im Laderaum des Renault Aluminiumbehälter auf dem Boden standen. Außerdem verliefen hier und da Kabel in verschiedenen Farben. In einer Ecke war eine Kamera auf einem Stativ angebracht, und im selben Augenblick begriff Timo, dass er auf dem Bild zu sehen war, das die Kamera sendete.
Irgendwo verfolgte irgendjemand in diesem Moment mit Hilfe der Kamera, was im Laderaum des Lieferwagens vor sich ging. Timo winkte der Kamera zu und griff nach dem Hammer, der auf dem Boden lag, denn so war es ihm in den Anweisungen befohlen worden.
Gespannt schaute Marek auf den Bildschirm seines Laptops. Mittels drahtloser Internetverbindung sah er in Weitwinkeloptik, wie die Tür des Renault aufging und der Mann den für ihn bereitgelegten Hammer ergriff.
Der Computer stand vor Marek auf einem abgenutzten, unlackierten Tisch. Für die Beleuchtung im Raum sorgte lediglich eine Tischlampe, und auch die war alt und etwas matt. Am Rand des Tisches lag eine Karte der ländlichen südostpolnischen Region, in der sich Mareks Versteck befand. Die dünn besiedelte Gegend war nicht unbedingt dazu geeignet, die Nerven zu beruhigen, denn in der Nähe befand sich das Gelände des Konzentrationslagers Treblinka II, wo 800000 Menschen ermordet worden waren.
Neben dem Laptop lagen drei Handys, die mit aufgeklebten Kennungen versehen waren: A, B und C. Bei allen drei zeigte der Feldstärkeanzeiger fast das Maximum an, und genau das war eines der Kriterien für die Ortswahl gewesen. Auf den Displays aller drei Telefone konnte man den Namen des lokalen Anbieters lesen: PL-PLUS.
Marek beobachtete, wie anderthalbtausend Kilometer entfernt, unweit des Flughafens Stockholm-Arlanda, der Mann den Hammer nahm und sich von der Hecktür des Lieferwagens entfernte.
Navarro sah zu, wie Timo mit dem Hammer den Deckel von der Holzkiste entfernte. Timo machte sich keine Sorgen wegen möglicher Absichten Navarros, denn der Mann war kein Heldentyp, aber trotzdem hielt er die Waffe in der anderen Hand bereit.
Unter dem Deckel kam braunes Papier aus dem Reißwolf zum Vorschein, das als Polsterung diente. Timo schaufelte es zur Seite und legte damit vier graue Kunststoffbehälter frei. Das Material wirkte dick und stark. Die Brisanz des Inhalts wurde durch die High-Tech-Verschlüsse, die zusätzlich versiegelt waren, noch
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