Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
handeln? Die Finnen wären zweifellos bereit, das Lösegeld zu zahlen, aber die Beschaffung der Diamanten würde langsam und alles andere als geradlinig vor sich gehen.
Am ehesten lag der Pharmakonzern Roche auf der Hand. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende hatte erklärt, sein Unternehmen sei unter keinen Umständen bereit, den Geiselnehmern die Rohstofflieferung auszuhändigen. Aber jetzt hatte sich die Lage in ihr Gegenteil verkehrt. Wäre die Firma jetzt bereit, zu zahlen, um den verlorenen Rohstoff zurückzubekommen?
Hier lag eine der Erpressungssituationen vor, denen jährlich Dutzende von Unternehmen ausgesetzt waren. Die TERA war zuletzt an den Ermittlungen in einem Fall beteiligt gewesen, bei dem ein Schweizer Lebensmittelriese unter Druck gesetzt worden war. Eine osteuropäische Liga hatte behauptet, Packungen mit Muttermilchersatz mittels Injektionsnadeln vergiftet zu haben. Selbstverständlich war der Fall vor den Medien geheim gehalten worden, und bei der Aufklärung hatte man die klassische Methode angewandt: Man hatte der Lösegeldzahlung zugestimmt, um den Tätern dann durch das gezahlte Geld auf die Spur zu kommen.
Timo suchte in seinem Handy nach der Nummer von Roche. Dabei merkte er, dass er feuchte Hände hatte. Das folgende Telefongespräch würde alles andere als angenehm werden.
»Wie lange dauert es noch?«, fragte Vasa, der neben seinem Vater kniete, als Zlatan aus dem Cockpit kam. Der Kapitän hatte Turbulenzen angekündigt, und jetzt geriet die Maschine unangenehm ins Schwanken. »In wenigen Minuten sind wir da«, antwortete Zlatan. »Setz dich und schnall dich an. Die Frau auch.«
Die Maschine geriet immer heftiger ins Wackeln. Vasa schob sich neben Zlatan auf einen Sitz.
Zlatan schaute ihn an. »Wenn das Ganze nicht planmäßig läuft, werde ich mit dir dasselbe tun, was ich mit dem finnischen Polizisten getan habe.« Aus Zlatans Stimme war unmöglich zu schließen, ob die Drohung ernst zu nehmen war.
»Dann bringen wir dich zusammen um«, bestätigte Danilo hinter ihnen. Die Maschine zitterte und schwankte, einige Passagiere schrien, andere holten die Spucktüten hervor.
»Fang bloß nicht an zu kotzen!«, rief Torna einer Frau zu, die sich in seiner Nähe die Hand vor den Mund hielt und mit der anderen Hand nach der Tüte tastete.
Stanko schien ebenso übel zu sein wie den meisten Finnen. »Schmeißt mir eine Tüte rüber«, sagte er mit schwacher Stimme.
Plötzlich hörte man, wie mit einem surrenden Geräusch das Fahrwerk ausgefahren wurde.
Im selben Moment rief die Frau, die Vasas Vater versorgte: »Der Oberst ist bei Bewusstsein.«
Vasa öffnete den Gurt und ging in die Hocke. Die Maschine neigte sich zur Seite. Vasa nahm den Kopf seines Vaters in den Schoß.
»Versuche durchzuhalten, Vater!«, sagte er leise, wobei er zärtlich über das graue Haar strich. »Es dauert nicht mehr lange...«
Der alte Mann wollte etwas sagen, aber er bekam keinen Laut heraus. Seine Augen bewegten sich unkontrolliert hin und her. Vasa legte das Ohr auf den offenen Mund seines Vaters, hörte aber trotzdem nichts. Auf einmal gab der Vater den Versuch auf, und Vasa spürte keinen Atemhauch mehr auf seiner Wange.
Voller Entsetzen blickte er auf das Gesicht seines Vaters. Die Augen bewegten sich nicht mehr. Sie schienen durch die Decke der Maschine hindurch in den dunklen Himmel zu starren, bis zu den Sternen. In der Kabine war es still, nur die Motoren dröhnten gegen die wechselnden Strömungsverhältnisse der Luft an. Vasa, der vom Blut seines Vaters überströmt war, richtete langsam den Blick auf die Finnin, die auf den Knien erstarrt war.
»Nicht einmal seine letzten Worte habe ich gehört«, sagte Vasa mit trockenen Lippen. »Ich habe nicht einmal seine letzten Worte gehört...« Kaum hatte er das gesagt, sprang Zlatan auf, war mit wenigen Sätzen an ihnen vorbei und eilte ins Cockpit.
»Nicht landen!«, rief er schon an der Tür. »Zieht die Maschine hoch, hört ihr!«
Die Maschine machte einen Ruck, und das Dröhnen der Motoren nahm weiter zu. Zlatan drehte sich um und musste sich an den Sitzlehnen festhalten. Der Fußboden neigte sich jäh nach oben. Zlatans Augen funkelten, als er vor der noch immer auf dem Gang knienden Finnin stehen blieb.
Johanna blickte auf. Aus dem Schlitz der Sturmhaube heraus wurde sie von kalten, erbarmungslosen Augen fixiert. Der Mann packte sie an den Haaren und riss sie nach hinten, bis sie auf dem Rücken im Gang lag. »Du hast Oberst Jankovic
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