Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
Hilfe. Als er sich umzingelt sah, erschoss sich der Mann.«
Timo zwang sich, ruhig zu atmen. »Weiß man etwas über den Schützen?« Johanna schüttelte den Kopf. »Etwa fünfunddreißig Jahre alt, vielleicht leicht slawische Züge. Trug Kontaktlinsen. Die Waffe war eine PSGi mit Eltron-Infrarotvisier. Ein Profi. Die Obduktion ist in einer Stunde. Warum hat er den Präsidenten erschossen?«
Timo zuckte mit den Schultern. »Vielleicht vermutete jemand, Koskivuo könne in Minsk zu viel mitbekommen haben und bei großen Themen in Zukunft Schwierigkeiten machen. Kein Außenstehender konnte wissen, dass der Präsident seine Rede bereits aufgezeichnet hatte. Tatsächlich hat er sich schon auf dem Flug von Minsk nach Helsinki Gedanken über sein Testament gemacht, für alle Fälle. Aber das habe ich da noch nicht begriffen.«
»Wir sollten wohl auch unser Testament auf den neuesten Stand bringen - wenn es nur etwas zu hinterlassen gäbe ...«
Timo sah echte Angst in Johannas Augen aufblitzen.
»Ich glaube nicht, dass uns die Killer auf den Fersen sind. Der Mord am Präsidenten steht in einem größeren Zusammenhang. Was für einen Nutzen hätte man von der Eliminierung zweier Polizisten? Sie wissen ja, dass uns die Voraussetzungen fehlen, um Moskau öffentlich zu bezichtigen.«
»Ach ja?«, fragte Johanna.
Timo schaute ihr in die Augen und überlegte einige Sekunden. »Was haben wir denn an konkreten Beweisen? Wie könnten wir den Kreml mit den Ereignissen in Verbindung bringen? Wir brauchten schon ziemlich starkes Indizienmaterial, wenn wir Präsident Rozanow hierfür verantwortlich machen wollten. Zumal wir nicht wissen, ob solches Material überhaupt existiert.
Wir müssen bestimmte Realitäten akzeptieren. Genau diejenigen, die auch der Präsident von der Pike auf zu akzeptieren gelernt hat.« »Nein. Er hat sich am Ende doch gerade geweigert, sie zu akzeptieren.« Timo schwieg einen Moment. »Alle Achtung dafür. Ich habe mich in ihm getäuscht.«
EPILOG
Vasa saß mit geschlossenen Augen auf seinem Bett und genoss die Stille. Er öffnete die Augen und sah durch die Gitterstäbe, wie draußen leise die Schneeflocken vom Himmel schwebten.
Am Morgen hatte er von seinem Anwalt gehört, dass Heli Räsänen in Riihimäki einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hatte. Vasa glaubte, über diese Nachricht glücklicher zu sein als die Eltern des Kindes. Die Stille wurde durch ein Rasseln an der Tür gestört.
»Besuch für dich«, teilte der Wärter mit.
Neugierig stand Vasa auf und folgte dem Wärter in den Besucherraum. Auf der anderen Seite des Tisches saß Mila - zum ersten Mal seit drei Monaten.
»Das ist aber eine Überraschung«, sagte Vasa lächelnd. »Ich freue mich sehr, dass du gekommen bist.«
»Ich mich auch«, antwortete Mila beinahe schüchtern und holte einige Fotos hervor.
»Ich dachte, du willst vielleicht Bilder von Vaters Beerdigung sehen«, sagte sie und reichte Vasa die Fotos. »Die Wärter haben meine Tasche kontrolliert, sie hatten wohl Angst, dass ich dir eine Torte mit einer Feile bringe.«
Vasa betrachtete die Bilder. Wie es aussah, war das Begräbnis ruhig und würdig verlaufen.
»Es waren unglaublich viele Menschen da. Das hätte ich nie geglaubt«, sagte Mila bewegt.
»Ist man auf meine Bitte eingegangen?«, fragte Vasa.
Mila wischte sich über die Augen und nickte. »Unser Vater ist ohne einen einzigen Schuss zur letzten Ruhe gebettet worden.«
Vasa gab seiner Schwester die Bilder zurück. »Behalte sie als Erinnerung.«
Vasa gab sich Mühe, das Zittern in seiner Stimme zu unterbinden. »Ich fühle hier stark die Anwesenheit unseres Vaters.«
Mila sah ihren Bruder zärtlich an. »Ich habe dir noch etwas mitgebracht.«
Sie öffnete ihre Tasche und brachte ein kleines Gemälde zum Vorschein. Es zeigte einen unschuldigen kleinen Jungen. Vasa erkannte sich selbst und das Foto aus seiner Kindheit, das Mila als Vorlage benutzt hatte. Gekonnt hatte seine Schwester seine Haltung und seinen Gesichtsausdruck festgehalten.
Er nahm das Bild in die Hand und lächelte. »Du bist doch wohl nicht zur Fälscherei übergegangen?«
»Das war eine Ausnahme.«
Vasa betrachtete den zarten Jungen auf dem Bild. »Wäre das Schicksal seit jenem Augenblick doch anders verlaufen!«
»Auf die Zukunft können wir noch Einfluss nehmen. Hast du deine Examensarbeit fertig?«
Vasa nickte. »Ich habe sie letzte Woche weggeschickt.«
»Es war aber auch Zeit«, lachte Mila.
»Ich denke daran,
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