Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
Äußerlich wirkte er vollkommen ruhig, ja geradezu gefühllos.
»Es gibt nichts mehr, was man tun könnte. Außer mitzuhelfen, dass der Mörder gefunden wird.« Kimmos Stimme wurde beim Sprechen fester, und sein Körper straffte sich ein wenig. »Wenn das Schwein gefunden wird, soll es genauso sterben wie Julia«, sagte er langsam, mit furchterregendem Glanz in den Augen.
Tero war nicht fähig, etwas zu erwidern, sein Gehirn wollte einfach nicht funktionieren.
»Rache bringt nur noch mehr Kummer mit sich«, sagte Haaranen besänftigend. »Deshalb gibt es Gerichte.«
»Ach ja? Ich habe das Gefühl, als gäbe es in Finnland die Gerichte nur, damit so ein Typ nach zwei, drei Jahren wieder als freier Mann aus dem Gefängnis spaziert.« Kimmos Blick wirkte wie glasiert. »Aber dieser Typ wird nicht so leicht davonkommen. Garantiert nicht.«
7
Tero setzte den Blinker und bog in seine Straße ein. Er musste alle Willenskraft zusammennehmen, um ruhig zu bleiben. Er hatte sich für eine Linie entschieden, jetzt musste er den gewählten Weg beibehalten. Etwas anderes kam nicht mehr infrage.
Dennoch übersah er nicht die groteske Ironie, die in all dem lag. Immerfort hatte er nach Gleichgewicht in seinem Leben gesucht: Er hatte sich Bildung angeeignet, hatte versucht, seine Wissbegierde zu befriedigen, hatte sich mit dem Denken von Philosophen und großen Männern der Geschichte vertraut gemacht und gleichzeitig versucht, durch physisches Training und richtige Ernährung auch für einen gesunden Körper zu sorgen. Er hatte Harmonie und Balance angestrebt, war aber trotzdem ständig gescheitert: die Tragödie seines Vaters, die schweren Fehler seiner Teenagerjahre, die Katastrophe, die seiner Polizeilaufbahn ein Ende gesetzt hatte, Valtteris Schicksal, die Scheidung von Heli... und jetzt das Schrecklichste von allem.
Wieder ließ er sich die Möglichkeit durch den Kopf gehen, Ronis Strafe aufzuschieben. Diese Variante würde auch ihn unmittelbar betreffen, denn er wäre dann an der Vertuschung des Verbrechens beteiligt. Wäre er denn selbst bereit, in zehn Jahren ins Gefängnis zu gehen? Mit fünfundfünfzig? In einem Alter, in dem man sich ohnehin allmählich der Begrenztheit seiner Zeit bewusst wird?
Ja. Wenn Roni seine Strafe verbüßte, dann würde er das selbstverständlich auch tun.
Aber was hieß das konkret? Wenn Roni mit dreißig Jahren und vielleicht sogar als mehrfacher Formel-i-Weltmeister gestehen würde, sich in seiner Jugend einer fahrlässigen Tötung, vielleicht sogar des Totschlags schuldig gemacht zu haben ... Dann würde die halbe Welt die Scham und Demütigung mit ihm teilen; Millionen von Menschen würden über den Vorfall diskutieren ... Wie schrecklich wäre die Situation dann eigentlich? Man konnte sich das aus der jetzigen Perspektive einfach nicht vorstellen.
Plötzlich fuhr Tero zusammen, weil ihm ein neuer Gedanke durch den Kopf schoss: Fahrlässige Tötung und Totschlag waren Delikte, die verjährten. Mord verjährte nie, aber darum handelte es sich nicht, denn die Tat war nicht geplant gewesen. Tero versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was im Strafrecht stand. Die Höchststrafe für Totschlag betrug mehr als acht Jahre, weshalb die Verjährungsfrist bei zwanzig Jahren lag. Roni würde sie mit vierzig überschreiten. Falls aber Julia ihn zuerst angegriffen hatte, könnte der Fall als fahrlässige Tötung gewertet werden. Wie sah die Strafskala da aus? Als junger Polizist hatte Tero nebenher zwei Jahre Jura studiert, aber das war lange her.
Warum beschäftigte er sich überhaupt mit Verjährungsfristen? Anscheinend versuchte er mit allen Mitteln, gegen seine eigene Ansicht von der Unvermeidlichkeit von Strafe zu argumentieren und verzweifelt einen Ausweg aus der ganzen Situation zu finden.
Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. Marcus rief aus Spanien an, voller Eifer und absolut sicher, dass McLaren tatsächlich echtes Interesse an Roni hatte.
Roni betrachtete die Reifen an seinem Audi, gebrauchte Winterreifen von Michelin, die er in der Nacht zusammen mit seinem Vater gegen die Bridgestones getauscht hatte. Die feuchte, kühle Luft ließ ihn zittern. Hinter der Weißdornhecke näherte sich die antike Schrottkiste seines Vaters, kurz darauf rollte sie aufs Grundstück. Der Vater parkte vor dem heruntergekommenen roten Schuppen, stieg aber nicht aus, sondern telefonierte im Wagen weiter. Seiner Mimik nach ging es nicht um etwas Ernstes.
Am Vortag hatte der Vater Ronis Jeans
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