Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
ein ordentlich angezogener, intelligent wirkender und gut aussehender Mann, aber für Kimmo wirkte der Bruder seiner Frau Sirje wie ein gefährlicher, dubioser Handlanger der osteuropäischen Mafia. Und das war jetzt auch gut so.
»Wie kann das möglich sein?«, fragte Toomas und starrte aus dem Fenster in die Ferne. Er sprach eine Spur schlechter Finnisch als seine Schwester. »Ich warte die ganze Zeit darauf, dass ich aus diesem Albtraum erwache«, sagte Kimmo. Er rieb sich das unrasierte Gesicht und die brennenden Augen. Den Schock und die Trauer betäubte er, indem er sich zwanghaft an den Gedanken klammerte, den Mörder zu finden. Sirje war bei ihrer besten Freundin in Hakunila.
Toomas seufzte schwer, dann fing er an, in seiner Küche im Stadtteil Herttoniemenranta Kaffee in den Filter zu schaufeln.
Kimmo war bislang nur einmal bei Toomas gewesen. Damals hatte er noch in einer Einzimmerwohnung in Kontula zur Miete gewohnt. Die Dreizimmerwohnung in Herttoniemenranta nun war seine eigene, und Kimmo wusste ebenso wenig wie Sirje, wie Toomas das Geld dafür hatte aufbringen können. Toomas arbeitete als »Logistikchef« bei einer kleinen Firma in Espoo, die einem reichen Russen gehörte. Was er dort tatsächlich tat, darüber wurde nicht näher gesprochen. Seinen eigenen Worten zufolge kümmerte er sich um Logistik und Transport.
»Hat die Polizei eine Vermutung, wer der Täter sein könnte ?«, fragte Toomas. »Die Polizei redet nicht mit mir über ihre Vermutungen. Ich bin ja bloß der Vater des Opfers«, gab Kimmo verbittert zurück.
»Sie werden den Typen bald schnappen«, sagte Toomas und setzte sich Kimmo gegenüber an den Tisch. Sogar Trost von ihm tat jetzt gut. »Und dann?«, fragte Kimmo.
»Wieso?«
»Was passiert, wenn sie den Scheißkerl geschnappt haben? Was kommt dann?«
»Du meinst das Gerichtsverfahren ...«
»Nicht zu verwechseln mit Gerechtigkeit. Die Polizei hat schon zu verstehen gegeben, dass das Ganze unter der Überschrift Totschlag laufen könnte. Was heißt das für den Täter? Ein paar Jahre. Und davon wird ihm dann noch die Hälfte erlassen.« Kimmo sah Toomas in die Augen und senkte die Stimme. »Hast du noch ... Kontakte?«
»Was für Kontakte?«
»Du weißt schon, was ich meine.«
Toomas änderte seine Sitzhaltung und spielte mit dem Löffel. »Antworte! Julia war dein Patenkind.« Toomas nickte. Seine Augen wurden feucht. 26
»Weißt du noch?«, flüsterte er. »Sirje war gerade aus dem Krankenhaus gekommen, und ich besuchte euch, um mir die Kleine anzusehen. Ich brachte ein Mützchen mit...«
Kimmo nickte und musste ebenfalls gegen die Tränen ankämpfen. »Ich hatte nie zuvor ein Baby auf dem Arm gehalten, bis zu Julias Taufe«, redete Toomas mit zitternder Stimme weiter.
»Und jetzt wirst du ihren Sarg tragen müssen«, sagte Kimmo zähneknirschend.
»Ich will dabei sein, wenn der Mörder vor Gericht steht. Ich will ihm in die Augen sehen.«
»Dann ist es zu spät.«
»Was ist dann zu spät?«
»Der Fall muss vorher erledigt werden.« Plötzlich war alle Rührung aus Kimmos Stimme gewichen, sie klang jetzt klar und entschlossen. »Beim Gerichtsverfahren und danach kommt man an den Mörder nicht mehr heran.« Toomas wurde hellhörig. Er musterte Kimmo aufmerksamer als zuvor. »Was muss erledigt werden? Die Rache?«
»Rache ist das falsche Wort. In Amerika bekäme er, was er verdient, dort würde er auf dem elektrischen Stuhl landen. Aber nicht bei uns. Hier gibt es kein Recht. Hier muss man das Recht selbst ausüben. Oder?«
Toomas zögerte, sagte aber: »Ja, klar.«
Eine Weile schwiegen sie, bis Toomas die Stille brach. »Aber wer das Recht ausübt, kann selbst vor Gericht kommen.«
»Nur wenn er pfuscht und erwischt wird.«
Kimmo schaute Toomas an und sagte: »Nehmen wir an, einer von deinen Kontakten aus Estland oder aus dem Osten kommt hierher, erledigt den Fall und kehrt dorthin zurück, wo er hergekommen ist. Welche Möglichkeiten hat die finnische Polizei dann, ihn zu schnappen?«
»Von welchen >Kontakten< redest du die ganze Zeit?«
»Tu nicht so«, sagte Kimmo müde. »Kümmerst du dich darum? Es ist das Letzte, was du für deine Patentochter tun kannst.
Ich besorge eine Waffe, über die niemand dem Täter auf die Spur kommen wird.«
Toomas musterte Kimmo lange schweigend. Schließlich sagte er: »Ich habe keine solchen Kontakte. Eventuell kenne ich jemanden, der sie hat, aber ich selbst habe keine. Wenn du nur wüsstest, wie langweilig meine
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