RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
ihnen. Wir haben sie oft über die Felder reiten sehen, und seit sie ins Lager kam, hat man immer über sie geflüstert, weil sie so hübsch ist.
„Was wollte sie?“, will Danka aufgeregt wissen.
„Wei ss ich nicht. Sie wird bestimmt nicht mit mir reden.“
„War sie zu Pferd?“
„Ja.“ Wir hangen eine neue Ladung Wäsche auf.
Marek kehrt in die Arbeitsgruppe an der Nudelfabrik zurück und wirft mir eine Nachricht zu, die sehr lang ist. Ich nehme sie und stecke sie in meine Tasche. Es dürfte nicht leicht für ihn gewesen sein, ein so gro ss es Stück Papier zu organisieren. „Ich bin Offizier der polnischen Armee. Ich machte in Belgien meine Ausbildung zum Arzt und kehrte dann nach Warschau zurück, wo ich einen Posten als Offizier bekam. Ich habe ein paar Kontakte zur Untergrundbewegung, und es ist beabsich tigt, einen doppelten Boden in den Zug einzubauen, in dem Kleider von Auschwitz nach Deutschland transportiert wer den. Wir können uns darin verstecken, es wird eng sein, aber wir können entfliehen. Du mü ss test deine Schwester zurücklas sen, denn wir können das Risiko einer weiteren Person nicht in Kauf nehmen, da jeder Schrei oder jedes Weinen für uns alle den Tod bedeuten würde. Ich würde gerne mit dir zusammen fliehen und leben. Ich glaube, da ss wir das schaffen können.“
Ich knülle die Nachricht zusammen, rei ss e sie in kleine Fet zen und gehe auf die Toilette, wo ich sie runterspüle. Marek. So lieb, so eifrig, so naiv. Ich schlucke den Klo ss in meinem Hals hinunter. Ich schlucke die Worte meines Freundes hinun ter.
„Ich kann das nicht“, schreibe ich ihm zurück. „Ich kann mei ne Schwester hier nicht allein zurücklassen. Au ss erdem bin ich nicht mutig genug. Doch danke, da ss du an mich gedacht hast.“ Als keiner hersieht, werfe ich den Stern über das Feld, und wende mich dann dem Berg Unterwäsche zu, den ich pflicht gemä ss zu bewachen, sauber zu halten und ordentlich zu falten habe.
Ich sehe Marek nicht mehr so häufig, aber ich höre gele gentlich etwas von ihm über die Küchenarbeiter, die uns den Morgentee bringen. Ich vermisse unseren Briefkontakt und seine im Wind zwischen der Wäsche treibende Stimme. Ich ver misse sein freundliches Gesicht auf der anderen Seite und seine Besorgnis um mein Wohlergehen. Die Züge fahren noch im mer in der Ferne vorbei, aber ich weigere mich, ihnen nachzu schauen.
Mala ist das Nachrichtenmädchen für das Lager Birkenau. Wir haben sie viele Male von einem Büro zum anderen und durch die Tore hinausgehen sehen, um eine Nachricht in die anderen Teile des Lagers zu bringen. Wir bewundern sie alle, nicht nur, weil sie schön ist, sondern weil ihre Position höchst bedeutend ist. Trotz der Tatsache, da ss sie Jüdin ist, haben sie ihr praktisch freien Zugang zu den Gebäuden gegeben und ihr erlaubt, ihre Haare zu behalten. Sie spricht sieben oder acht Sprachen und bringt Nachrichten von der Aufseherin Drexler zum Krankenhaus, zu den SS-Büros - wo immer sie sie hin schicken. Wir sind immer stolz auf ihren Job gewesen; sie ist für uns ein Symbol, da ss wir wertvoll sind, Menschen sind. Doch selbst für sie mit all ihren Privilegien war das Lagerleben zu viel.
Die Männer, die uns morgens den Tee bringen, haben es uns erzählt. Mit gedämpfter Stimme flüstern wir uns den ganzen Tag Klatsch und Zusammengereimtes über Mala zu, die mit ihrem Geliebten aus Auschwitz geflohen ist. [23]
Wir malen uns aus, wie sie es geschafft haben. „Sie mu ss Kontakte zur Au ss enwelt gehabt haben.“
„Ja, sicher. Wie hätte sie sonst rausgekonnt?“ Spät abends, nachdem wir unser Brot gegessen haben, unterhalten wir uns über die Schicksale von Mala und ihrem Geliebten.
„Er war Pole. Er hatte die Kontakte.“
„Ich habe gehört, er hei ss t Edward.“
„Ich habe gehört, sie haben aus der Wäscherei deutsche Uniformen gestohlen, und jemand hat unter einem der Wag gons, mit denen sie die Kleidung abtransportieren, einen dop pelten Boden eingebaut, damit sie sich darin verstecken kön nen.“ Mareks Plan fällt mir wieder ein.
„Du wei ss t viel.“ Wochenlang flüstern und beten wir, da ss diese beiden mutigen Seelen nie gefa ss t werden. In unseren Herzen leben sie glücklich und zufrieden, entkommen Nazi- Deutschland und schaffen es nach England oder der Schweiz oder nach Amerika oder irgendwohin, wo eine Jüdin und ein Nichtjude in Sicherheit sind. Wir schüren die Flammen unseres Mutes, und Mala wird unser Leuchtfeuer.
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