RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Greses Freundlichkeit anfan gen soll, doch ich denke mir, da ss sie vielleicht einsam ist.
„Wie alt bist du?“, erkundigt sie sich, als ich langsam un d bedächtig die Lotion auf ihre Schultern streiche und darauf achte, da ss sie gleichmä ss ig verteilt ist.
„Dreiundzwanzig, Frau Aufseherin“, antworte ich bereit willig.
„Ich auch.“ Mir bleibt das Herz nicht stehen. Und obwohl ihre Worte mich verblüffen, fahre ich gelassen in meinem Tun fort. Wir kommen aus so verschiedenen Welten, und leben un ter derart unterschiedlichen Bedingungen - doch wir sind gleich alt.
„Woher kommst du?“
„Aus Tylicz.“
„Nie gehört.“
„Es ist sehr klein ... liegt in den Karpaten.“ Sie schweigt. Ich unternehme nichts, um das Gespräch in Gang zu halten. Ich kenne meinen Platz. Ich bin nur eine Sklavin, egal wie freund lich sie zu sein scheint.
„Wei ss t du denn, was passieren wird, wenn der Krieg vorbei ist und wir die Welt erobert haben werden?“
„Nein, das wei ss ich nicht.“ Trotz der sengenden Sonne wird meine Haut kalt.
„Ihr Juden werdet dann alle nach Madagaskar geschickt.“ Sie sagt das nicht boshaft, sie sagt es sachlich, als wü ss te sie mit hundertprozentiger Sicherheit, da ss es so sein wird. „Für den Rest eures Lebens werdet ihr Sklaven sein. Ihr werdet den ganzen Tag in den Fabriken arbeiten, und man wird euch ste rilisieren, damit ihr keine Kinder mehr bekommen könnt.“
Mir wird das Herz schwer. Ich stehe langsam auf und versu che, mich davonzuschleichen, ehe ich noch mehr hören mu ss , denn ich möchte nicht, da ss sie die Verwirrung in meinem Ge sicht sehen kann. Ich habe das Gefühl, sie lehnt gezeigte Emo tionen ab - das tun alle von der SS -, und deshalb verstecke ich mich hinter der im Sommerwind schaukelnden Unterwäsche.
Es dröhnt mir in den Ohren, ein Zug rauscht durch meinen Kopf. Warum sterbe ich nicht gleich jetzt, bevor ich für den
Rest meines Lebens eine Sklavin sein mu ss ? Blind stolpere ich weg von ihrer Stimme, kämpfe gegen die in meinen Augen brennende Trockenheit an. Warum sollte ich weitermachen, wenn alles so bleibt wie es ist? Ich verberge mein Gesicht zwi schen sauberen wei ss en Unterhemden und Shorts. Ich möchte sie von ihren Leinen rei ss en und die heranrückenden Wolken anschreien, die den Himmel über uns verdunkeln. Ich möchte allem ein Ende bereiten, diese endlose Monotonie beenden ... alles anhalten. Ich möchte ewig schlafen und nie wieder auf- wachen. Dann höre ich mich sagen: „Komm schon, Rena, du wei ss t nicht einmal, ob du den morgigen Tag überlebst - war um sorgst du dich darüber hinaus?“
Der durch meinen Kopf donnernde Zug hält an. Meine Ge danken beruhigen sich. Der Himmel ist noch der gleiche, die Sonne brennt noch immer hell herab und Aufseherin Grese liegt noch immer auf dem Bauch, als hätte sie nichts gesagt, was meine Welt zerstört. Ich könnte morgen sterben - über al les andere werde ich mir den Kopf zerbrechen, wenn und falls ich soweit komme. Ich hänge ein Unterhemd auf, streiche die Falten in der Baumwolle glatt und bemühe mich mit aller Kraft, nicht an Madagaskar zu denken, als ich mir ihren schö nen Teint ansehe.
Es ist Erntezeit. Ich mu ss bald Geburtstag haben, vielleicht ist er auch schon vorbei. Ich wei ss es nicht. Ich wei ss nur, da ss ein Bauer mit seiner Ladung Kohl über das Feld fährt; also mu ss es Ende August sein. Er lä ss t sein Pferd ein wenig langsamer lau fen, als er an uns vorbeikommt, schnalzt dann mit der Zunge und rei ss t an den Zügeln. Das Pferd rennt ruckartig los und es rollen fünf Kohlköpfe herab. Danka packt meinen Arm und drückt ihn.
„Dina“, sage ich. „Du und Danka, ihr pa ss t auf, während ich mir einen Kohlkopf grapsche. Dann gehst du, und dann Danka.“ Sie nicken zustimmend, drehen mir ihre Rücken zu, hängen Wäsche auf und halten ihre Augen offen nach der SS. Ich gehe auf den Schatz zu, den der freundliche Bauer uns da gelassen hat, packe ihn schnell und trage ihn versteckt in mei ner Kleidung zurück, wo ich ihn in einem der Körbe verstaue. In kürzester Zeit haben wir drei riesige Kohlköpfe geholt, de ren Blätter warm von der Sonne und zum Reinbei ss en sind.
„Was wird aus den anderen beiden?“, fragt Dina.
„Wir haben genug. Man könnte uns erwischen, wenn wir zu gierig sind. Au ss erdem bin ich mir sicher, da ss ein andere, der auch Hunger hat, sie finden wird.“
An diesem Abend verteilen wir einige Blätter an unsere be sten
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