RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
alles auf se parate Häufchen: zwanzig Dosen Ölsardinen, zehn Kuchen, zehn Laib Wei ss brot und Tüten voll Zuckerwürfel.
„Eine holt sich bei Maria ein Messer und eine andere holt ein Ma ss band aus dem Nähzimmer, damit ich ganz genau sein kann.“ Meine Hände zittern. Dies ist die grö ss te Ehre, die mir je zuteilwurde, wichtiger als damals, als ich mit elf Jahren vor unserem ganzen Dorf an Polens grö ss tem Nationalfeiertag ein Gedicht vortrug, die erste Jüdin und das erste Mädchen, das dafür ausgewählt wurde.
Wir legen das Ma ss band auf die Kuchen; jeder ist um die sechzehn Zentimeter lang. Ich teile die Länge der Kuchen durch einhundertfünfundzwanzig und komme zu dem Schlu ss , da ss jedes Stück eineinviertel Zentimeter dick sein darf. Zwei Mädchen halten das Ma ss band gerade, während ich dreizehnmal einen Schnitt mache und dann vorsichtig jedes Stück an der markierten Stelle abschneide. Uns läuft das Wasser im Mund zusammen. Das Wei ss brot messen wir genauso ab.
Meine Hände zittern, als ich die einzelnen Kuchenstücke abschneide. Dies sind hungrige Menschen; jede mu ss genau die gleiche Portion bekommen. Ich darf keine begünstigen, nicht einmal meine Schwester - doch ich würde nicht einmal daran denken, einen anderen hungrigen Menschen um so kostbare Nahrung zu betrügen.
Es gibt zwanzig Sardinendosen, und in jeder liegen zwi schen sechs und acht Stück, und ich überlege, da ss das ausrei chen mü ss te, um jedem Mädchen einen Löffel voll zu geben. „Es wird leichter sein, die Sardinen mit unseren Löffeln zu tei len, damit kein Öl verloren geht“, teile ich den Mädchen mit. Sie stehen Schlange und halten mir ihren Löffel hin, während ich peinlich genau den Fisch herauslöffle, so da ss jeder Löffel gleich ist. Auch die Zuckerwürfel werden ausgezählt. Als alles erledigt ist, nimmt jede ihr Stück Brot, den Löffel Sardine und ihr Stück Kuchen und geht zu Bett, um es dort in dankbarem Schweigen zu verzehren.
Wenn wir wü ss ten, es gäbe irgendwo eine Million Dollar, und wir könnten sie uns nehmen, würden wir das tun? Diese Stücke Brot und Kuchen sind weit mehr wert als diese Geld summe. Ich habe nie jemanden im Lager bestohlen. Jedes Häppchen zu essen ist eine Frage über Leben und Tod, doch ich brächte es nie über mich, einen anderen Menschen zu be trügen. Ich erinnere mich wieder, wie es in Birkenau war - als ich jedes winzige Bröckchen, und wenn es nur eine Kartoffel schale auf dem Boden war, auflas und mit meiner kleinen Schwester teilte. Obwohl es mir vor lauter Hunger in der Hand brannte, brachte ich es immer zu ihr und teilte es. Ich halte mich für einen intelligenten Menschen, aber was Essen angeht, bin ich so besessen und haushälterisch, da ss es lächer lich ist. Das ist es, was der Hunger aus einem machen kann.
Die Mädchen in den SS-Büros beklagen sich ständig über ihre jüdische Aufseherin Edita. Sie macht bei der geringsten Klei nigkeit Meldung und bestraft sie dann zu heftig. Sie ist eine Tyrannin und behandelt sie schlechter als manche deutschen
Aufseherinnen. Keiner von uns begreift, warum sie so gemein ist, aber die Sekretärinnen haben sich etwas einfallen lassen, es ihr heimzuzahlen.
„Wir haben eine Geheimmission“, erzählt mir Aranka. „Willst du mitmachen?“
Ich sehe in die Gesichter der sieben Schreibkräfte. „Wobei?“, frage ich.
„Das können wir dir nicht sagen. Hast du Mumm und Kraft?“
„Ja, ich habe beides. Ist es etwas, was das Leben meiner Schwester in Gefahr bringt?“
„Nein“, versichern sie mir. „Wir werden über Edita herfal len, wenn sie schläft, und sie verprügeln.“ Ich nicke. Es hörte sich nach ehrenwerter Absicht an. „Willst du sie schlagen oder ihr den Mund zuhalten?“
„Ich halte ihr lieber den Mund zu. Ich habe nicht die Chutzpe einen Menschen zu schlagen“, erkläre ich ihnen.
„Dann bis heute Abend.“ Wir schütteln uns die Hände.
Während der Rest im Block schläft, schleichen wir uns in Editas Zimmer und versammeln uns schweigend an ihrem Bett. Dann, auf das Signal der Anführerin hin, packen zwei Mädchen ihre Arme und zwei ihre Beine, während ich ihr gleichzeitig den Mund zuhalte und ein anderes Mädchen die Augen. Die zwei, die das Verprügeln übernommen haben, schlagen sie immer wieder in den Bauch, wo keiner die blauen Flecken sehen kann. Es ist nicht leicht, den Druck auf ihren Mund beizubehalten, als sie sich freizustrampeln versucht, doch ich presse meine
Weitere Kostenlose Bücher