RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
sie jemanden besuchen und als wäre ihr grö ss tes Problem, zu überlegen, was sie am Abend auftischen soll.
Ich habe mich immer so sehr in der Gewalt, lasse nicht zu, da ss die Gefühle mich einholen, aber ich kann nichts gegen die Tränen tun, die mir über die Wangen laufen. Wohin fährt sie? frage ich mich. Warum hat sie ein Leben, und ich habe keins?
„Es gibt eine Welt da drau ss en“, seufze ich und lasse der Sintflut in mir freie Bahn.
Es gibt ein Lied, das wir im Lager singen. Es lä ss t mich kei nen Augenblick los, ich singe es unaufhörlich in Gedanken:
Es gab Tangos, Foxtrotts und Fanfaren
gesungen von tanzenden Paaren.
Es gab Tangos von Träumen und Liebesgeschichten,
doch jetzt ist Krieg, keiner wird Lieder dichten.
Vergeudet ist unser junges Leben.
Singt dieses neue Lied, erhobenen Haupts.
Sing, Schwester, hinter deutschen Gittern diesen Tango aus Tränen, Leid und Verzweiflung - das ist für uns der Krieg.
Unsere Herzen weinen hei ss e Tränen.
Werden wir je die Sonne wiedersehen?
Werden wir je die wunderschöne Welt wiedersehen?
Aus der Feme lacht uns durch Eisengitter die Freiheit
und von der Freiheit träumen wir allezeit.
Aber die Sonne scheint noch immer nicht.
Es ist so unglaublich, aber da ist es, nur ein paar Kilometer weit weg. Selbst am Stabsgebäude, von wo aus ich die Krema torien nicht sehen kann, wird der Rauch in die Luft gesto ss en. Wir sind nicht au ss erhalb, und die Deutschen sind so effizient und sie gewinnen den Krieg. Wir überleben, weil wir die Hoff nung haben zu leben, aber sich auf diese Hoffnung einzulas sen, ist Wahnsinn! In meinem Herzen würde ich gerne glau ben, da ss ich eines Tages frei sein werde, denn ich habe nicht die Kraft, aufzustehen und ohne diese Hoffnung zu leben. Aber der Tod ist so allgegenwärtig, die Krematorien sind so erdrückend. Die Hoffnung gibt es nur, weil wir ohne sie nicht überleben könnten.
„Ist was?“ Mareks Stimme durchdringt mein Leid.
„Dieser Zug, ...“ antworte ich und meine Stimme ist schwankend und unsicher; „es waren Leute darin, alle schön angezogen, sie sa ss en da, als gäbe es keinen Krieg... als gäbe es nicht einmal uns.“ Ich verstecke mich hinter der Wäscheleine und wische meine Tränen an der SS-Unterwäsche ab, damit keiner merkt, da ss sie mich wieder erwischt haben. [22]
Der Stein landet ein paar Schritte weit entfernt. Es ist eine ein fache Botschaft, nur ein paar Worte: „Warum versuchen wir nicht zu fliehen?“
„Und wohin gehen, Marek?“, frage ich mich. Wir sind Juden, und keiner tritt mehr für uns ein. Obwohl Frühling ist, ist mei ne Jugend dahin. Wir arbeiten, wir sind vorübergehend sicher, doch ich verspüre keinen Lebensdrang mehr. Ich sitze im Dun keln und kämpfe gegen den überwältigenden Drang an, zu weinen. Ein gutes, langes Huh-huh - nicht einmal das ist erlaubt. Ich presse meine Hände und Zähne zusammen, bis der Wunsch zu weinen verebbt wie die Meeresflut. Wenn ich über lebe, werde ich einmal eine Woche lang weinen, vielleicht auch länger. Aber nicht heute, nicht hier.
Mareks Arbeitsgruppe ist nicht mehr bei der Nudelfabrik. Sein Fehlen registriere ich wie das Verschwinden von allen anderen im Lager. Ich habe Angst, da ss er tot ist.
Es ist ein warmer Tag. Der Sommer kommt, und die Wäsche wird schnell trocken. Wir haben die Hemden durchgesehen, um festzustellen, welche gefaltet und in den Korb gelegt wer den müssen. Ich bücke mich, um ein paar zarte Grasschö ss lin ge herauszuziehen und daran zu knabbern, als ein Schatten auf mich fällt. Blinzelnd schaue ich hoch zum Ro ss und seiner Rei terin. Ihr blondes Haar lockt sich anmutig und fällt ihr über die Schulter. Wie Spiegel reflektieren ihre Stiefel die Sonne. Ich habe sie schon früher über das Lagergelände reiten sehen. Sie ist ziemlich hübsch, und im Vergleich zu ihr fühle ich mich klein und unbedeutend. Sie lä ss t ihrem Pferd freie Zügel. Es schüttelt begeistert den Kopf und nähert ihn den Schö ss lin gen, die ich gerade gesammelt habe. Sie wirft einen prüfenden Blick ins Gelände und erlaubt ihm dann zu grasen. Dann zieht sie die Zügel an und schnalzt ihrem Pferd zu. Sie galop pieren über die Felder ihr Haar wippt auf ihrem Rücken. Wie Hiebe fällt die Erinnerung über mich her: Ich hatte lange Haare ... ich hatte Locken ... ich bin auf unserem Pflugpferd gesessen...
Danka und Dina kehren auf den Trockenplatz zurück. „Aufseherin Grese war hier“, sage ich
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