RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
sprechen.
„Schsch.“ Danka lächelt. „Ruh dich jetzt aus.“
Es dauert ein paar Wochen, aber nach und nach wird meine Stimme wieder normal.
Drau ss en explodiert etwas. Wir hören alle zu arbeiten auf. Es hört sich nicht nach einer Bombe an, es fliegen keine Flugzeu ge über uns hinweg, doch es hört sich an, als wäre es nur ein paar Kilometer weit entfernt. Mullenders rennt zur Tür. Wir folgen ihr langsam und werfen einander heimliche Blicke zu. In Richtung Birkenau steigt Rauch in den Himmel. Wir lächeln nicht, aber innerlich grinsen wir. Wir warten und lau schen auf weitere Explosionen und beten, obwohl wir gar nicht wissen, worum wir beten.
Am nächsten Morgen kommen die Nachrichten mit dem Tee. Eines der Krematorien ist vom Sonderkommando ge sprengt worden. [27] Endlich ist uns ein Schlag gegen unsere Un terdrücker geglückt. Fieberha ft hoffen wir, dies möge der An fang vom Ende sein, aber die SS erwischt jeden vom Sonder kommando und tötet sie. Vier Mädchen von der Sprengstofffabrik hat man verhaftet: Sie haben geholfen, den Sprengstoff herauszuschmuggeln. Diejenigen von uns, die weiterle ben, sit zen eine stille Schiwa für unsere tapferen Landsleute.
Danka hat fürchterliche Schmerzen wegen eines kaputten Zahns. Am Sonntag bekommen sie und zehn andere Mädchen endlich vom Lagerkommandanten die Erlaubnis, den Lagerzahnarzt in Auschwitz aufzusuchen. Ich stehe am Zaun und sehe meiner Schwester nach , die ohne meinen Schutz das La ger verlä ss t, bewacht von der SS, der es egal ist, ob sie lebt oder stirbt. Obwohl ich wei ss , wohin sie geht, zerrt es an meinen Nerven, von meiner Schwester getrennt zu sein; es kann jeden Augenblick jede Menge passieren, und ich bin unruhig. Ich versuche mir einzureden, da ss ich mich lächerlich mache und anstatt im Block herumzuwandern, stelle ich mich ans Fenster und schaue hinaus. Es ist ein strahlender Sonnentag, aber das gibt mir keinen Frieden. Beunruhigende und beängsti gende Gedanken wirbeln mir durch den Kopf. Da ist ein Flug zeug. Ich blinzle heftig, als ich in den Himmel starre, ich kann es nicht sehen, aber ich kann es hören. Die Luftschutzsirenen heulen los.
Maria schreit von oben: „Raus! Geht in den Keller.“
„Meine Schwester ist da drau ss en!“
„Rena! Komm!“, schreit Dina mich an. Ich renne quer durch den Raum zur Treppe. Die Fenster hinter uns klappern, Glasscherben regnen auf unsere Köpfe.
„Danka!“, schreie ich. Alles ist ein einziges Chaos.
Im Keller zittern wir vor Angst. Ich wünschte, Danka wäre in meinen Armen wie beim letzten Mal. Wenn ich wenigstens mit ihr zusammen wäre, könnte ich etwas tun ... irgendetwas. Ich merke, wie ich vor Sorge langsam verrückt werde. Sollte meine Schwester ohne mich sterben, werde ich mir das nie verzeihen Ich presse meine Hände zusammen, bis ich keine Fäu ste mehr machen kann. Mein Gott hat mich verlassen, mich ausgeschlossen; doch ich bete, wenn ich auch im gleichen Atemzug seiner Macht mi ss traue. „Bitte la ss meine Schwester nicht sterben“, flehe ich. „Ich kann nicht ohne sie leben ...“ Ich versuche meine Nutzlosigkeit und meine Furcht hinter gespielter Tapferkeit zu verstecken, aber was werde ich Mama sagen, wenn Danka etwas zustö ss t?
Endlich schweigt die Sirene, und wir werden aus unserer dunklen, stickigen Zelle entlassen. Ich laufe die Stufen hoch. In Richtung Auschwitz steigen riesige schwarze Wolkenberge auf. Ein Mädchen kehrt durch das Tor zurück. Bis auf ihre Wache ist keiner bei ihr.
„Was ist passiert?“ Ich packe sie am Kragen. „Wo ist meine Schwester?“
„Ich wei ss es nicht. Es war ein gro ss es Chaos. Einige Men schen wurden getötet.“
„Ich mu ss zu meiner Schwester!“ Mein Kopf hämmert, als das Blut einschie ss t; mir wird schwarz vor Augen. Blind renne ich aufs Tor zu, um meine Schwester zu suchen. Ich achte nicht auf die Wachen in ihren Türmen. Mir ist alles egal; ich will nur meine Schwester finden.
„Haltet sie fest!“, schreit Dina. Ich spüre Hände, die mich hart an den Armen packen, mich zu Boden zwingen. Vor Kummer ganz au ss er mir, versuche ich sie abzuschütteln.
„Ich habe sie!“, schreit Janka.
„La ss t mich los!“, schreie ich sie an. Sie sind meine Feinde. Sie sind gegen mich. Ich kämpfe, um sie abzuschütteln. Ich wei ss nicht, wie viele Mädchen mich festhalten, um mich daran zu hindern, durch die Tore zu laufen und erschossen zu werden.
„Rena. Hör mir mal zu. Du kannst gar nichts tun. Du
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