RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
vorne, hat ein zartes Lächeln im Gesicht. Sie ist siegesbewu ss t. In ihren Augen ist kein Bedauern. Ihr Kleid ist äu ss erst schmutzig. Ich bin mir sicher, da ss sie gefoltert wurde, man versucht hat, Informationen und die Namen der Untergrundkämpfer aus ihr herauszuholen, die ihnen bei der Flucht geholfen haben. Doch sie macht nicht den Eindruck, als hätte sie ihnen auch nur das Geringste verraten. Sie hat Stolz. Sie hält das Kinn hoch, ihr Blick ist fest.
Wir sind über so viele tote Körper gestiegen, da ss wir dem Tod gegenüber immun geworden sind, aber diese Hinrichtung verstört uns. Warum ist es so ein schreckliches Gefühl? Warum ist es so viel schlimmer als die Selbstmorde am Zaun, die Se lektionen, die zahllosen Morde? Aber sie alle waren tote Ge sichter, bar jeder Hoffnung, und hier steht Mala und strahlt trotz der Dunkelheit im Lager, ihr Gesicht zeigt nie Verzweif lung. Warum kann das geschehen? Warum kann nicht wenig stens eine von uns in der freien Welt bleiben und überleben?
Sie ist so schön. Die Sonne am Himmel scheint nicht für uns, aber Mala strahlt. Sie ist unsere Sonne. Sie hat die Frei heit geschmeckt und den Himmel in der Welt drau ss en gese hen. Für uns gibt es keine Hoffnung, wir werden wahrscheinlich nicht überleben - aber Mala, den Kopf erhoben, ist all diesem Wahnsinn entflohen. Sie ist der heimliche Hoffnungsstrahl ge wesen, und jetzt werden sie uns unser einziges Licht auslö schen.
Sie führen sie zur Schlinge, aber mit einer geschickten Bewe gung zieht sie eine Rasierklinge aus ihrem Ärmel und schlitzt sich die Handgelenke auf. Ihr Blut spritzt über die Plattform.
Taube versucht die Blutung zu stoppen. „Schei ss jude, du wirst am Strang sterben, nicht durch deine Hand!“, schreit er und schlägt gnadenlos auf ihren Körper ein. „Bringt den Kar ren!“ Belfernd wischt er sich voll Abscheu die Hände ab. Eine Schubkarre flitzt auf den Galgen zu, und Gefangene legen Ma- las Körper darauf.
„Bringt sie sofort ins Krematorium. Sie wird im Feuer ster ben!“ Ihr zusammengefallener Körper bekommt nicht mehr mit, wohin es geht. Ihr Geist schwebt bereits über dieser Welt. Die Schubkarre jagt den Todeskammern zu; aus der Karre baumelt der Arm, ihr Lebensblut tropft auf die Erde Polens.
„Bitte la ss sie sterben“, beten wir. „Bitte la ss sie sterben, ehe man sie in den Ofen schiebt.“
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Aufwachen ist schwer. Das Bild der verblutenden Mala hat unseren Schlaf gestört und all unsere Träume von Freiheit ins Wanken gebracht, die wir aufgrund ihrer Flucht gehegt haben. Der Teekessel wartet wie ein Hexenkessel der Verdammnis auf uns. Dann raunt es sanft durch unsere Reihen, nährt die weni ge Hoffnung, die wir noch haben.
„Einer von der SS hatte Mitleid mit ihr und erscho ss sie, be vor sie ins Feuer kam.“ Unsere Gebete sind erhört worden - noch dazu von einem Deutschen. [25]
Es ist ein warmer Sonntag. Wir öffnen die Fenster um frische Luft in unseren Block hereinzulassen. Wir stehen an den Fenstern und starren auf Block Fünf, wo die Braunhemden zu uns herüberstarren.
Wir flirten wortlos. Wir sind jung, und sie sind es auch; es ist nur natürlich. Einer von ihnen hält einen Laib Brot und deutet lächelnd und nickend darauf. Er läuft nach unten und legt einen ganzen Laib Brot drau ss en hin, dann flitzt er wieder hinein.
Ich renne hinunter um es zu holen. Er war im Eingang ste hengeblieben, und wir schauen einander aus unseren getrenn ten Welten heraus an. Ich lächle kurz und forme mit den Lip pen ein Dankeschön, ehe ich in unseren Block zurückkehre.
„Seht her, es ist ein ganzer Laib Brot!“ Wir können unser Glück nicht fassen. „Wie viele sind wir?“ Wir teilen das Brot in zwölf Stücke und schlingen es gierig hinunter.
Bumm! Wir springen auf. Sirenengeheul verkündet Luft alarm im Lager.
„Raus! Raus!“ schreit unsere Blockälteste. „Folgt mir! Schnell! In den Keller.“ Wir rennen nach unten. Eine Türe geht auf und wir zwängen uns durch sie hindurch, rempeln einan der an. Wir versuchen uns umzudrehen, treten aber nur einer anderen auf die Zehen, wenn wir uns woanders hinbewegen. Als ich mich auf der Suche nach mehr Platz umdrehe, sehe ich einen SS-Offizier die Türe schlie ss en. Der Riegel rastet ein.
„Schlie ss t uns hier nicht ein!“, wimmert eine. „Verge ss t uns nicht!“
Es ist zum Ersticken. Wir sind alle vom Entsetzen gepackt. Was ist, wenn das Gebäude einstürzt und wir
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