RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
tieren sie ein hebräisches Gebet. Ihre Stimmen verstummen, als man ihnen die Stühle wegzieht. Es gibt keinen Gott, sie zu er retten.
Ich mu ss hinsehen, das ist das Mindeste, was ich tun kann; auf diese Weise gebe ich ihn en die Ehre. Wir stehen und war ten, bis der letzte Körper seinen Todestanz in der Luft beendet hat. Sie nehmen die Leichen ab, laden sie auf eine Karre und fahren sie zum Krematorium. [29]
„Eine von ihnen lebt noch“, raunt es durch die Reihen. „Ei ne von ihnen atmet noch.“ In einer zivilisierten Welt wird ein Verurteilter; der das Hängen überlebt, freigesprochen, doch nicht so in Auschwitz-Birkenau. Wir beten, da ss sie stirbt, ehe man sie in den Ofen schiebt.
Mullenders lä ss t uns zurück in unser Lager marschieren und deutsche Lieder singen. „Lauter!“, treibt sie uns an. „Kinn hoch!“ Wir singen mit unseren trockenen, brüchigen Stimmen und versuchen, nicht daran zu zerbrechen.
Am Morgen wachen wir nur langsam auf, uns bedrückt der Verlust unserer Kameraden. Der Teekessel kommt. Wir trau ern um die Mädchen, die gestorben sind, und wollen vom Krieg heute nichts wissen. Einer der Küchenmänner flüstert uns zu: „Sie ist auf dem Weg zum Krematorium gestorben.“ Wir atmen erleichtert auf. Sie mu ss te nicht leiden.
Ich nehme meinen Tee entgegen. Sanft aber bestimmt wird mir eine Nachricht in die Hand geschoben. Sie ist von Marek:
„Sie werden uns aus dem Lager führen. Die Russen sind ganz nah. Du mu ss t dich entscheiden, ob du Krankheit vortäu schen und im Lager bleiben möchtest oder ob du mitmar schierst. Ich werde dir in beiden Fällen behilflich sein und dich in Amerika treffen. Wenn du rauskommst, geh nach Amerika und suche nach Charles Boyer. Sag ihm, ich hätte dich ge schickt, er ist ein Freund von mir aus der Zeit in Belgien. Er ist ein so berühmter Schauspieler, da ss jedes kleine Kind in New York seinen Namen kennt...“
Ich kämpfe gegen die Tränen an. Kinder mögen wissen, wer Charles Boyer ist, aber ich wei ss es nicht. Amerika kommt mir so weit weg vor.
Wir bekommen mehr und mehr Nachrichten, da ss die Russen kommen und wir befreit werden. Und deshalb fangen wir an, uns darüber zu unterhalten, was wir tun werden - sollen wir bleiben oder versuchen zu entkommen?
„Sie werden alle Kranken in Birkenau lassen, und der Rest mu ss nach Deutschland marschieren“, erklärt uns eins der Mädchen im Block.
„Na gut, dann tun wir eben so, als wären wir krank.“
„Ich habe gehört, sie planen, an allen vier Ecken des Lagers Feuer zu entzünden, die Tore zu verschlie ss en und die Elektrozäune anzulassen, so da ss alle drin verbrennen werden“, be richtet uns eine der Schreibkräfte.
„Dann könnten wir also in den Flammen umkommen, wenn wir uns krank stellen?“
„Das habe ich gehört.“
„Was sollen wir tun?“, fragt Danka mich.
„Ich wei ss es nicht. Was wirst du tun, Aranka? Krank stellen oder mitmarschieren?“
»Ich werde die Chance nutzen und mitmarschieren. Viel leicht kann ich unterwegs fliehen.“
„Vielleicht erschie ss en sie dich dann.“
„Ich sehe trotzdem eine bessere Chance darin, auf dem Marsch zu entkommen, als in einem brennenden Lager eingeschlossen zu sein.“
„Ich wei ss nur, da ss ich hier nicht sterben will. La ss t mich überall sterben, nur nicht in Auschwitz.“ Die Stimme ist lei denschaftlich. Wir alle schau en Janka an. Ihre siebzehnjähri gen Augen haben in all den J ahren Getto und Lager viel gese hen. Sie hat ausgesprochen, was wir alle tief in uns empfinden. Wir werden sterben, wenn es sein mu ss , aber nicht hier, nicht in den Flammen.
Wir arbeiten weiterhin jeden Tag in der Wäscherei, aber Mullenders ist schreckhaft und schlecht gelaunt. Ihre regel mä ss igen Morgenansprachen jagen uns Furcht ein, aber jetzt starren wir sie voller Ha ss an. Das hätten wir uns ein paar Wo chen früher noch nicht getraut, aber die Lieder, die zu singen sie uns gezwungen hat, kleben uns noch immer auf der Zunge, egal wie sehr wir auch reiben, um den Geschmack in unseren Mündern loszuwerden. Wir wissen, da ss sie nicht für immer die Kontrolle über uns hat, und wir hassen sie gewaltig.
Unsere Arbeitstage sind nicht mehr so lang, und wir bespre chen Dinge offener als je zuv or, sorgen uns, was wir tun sol len. Wir tun das nicht vor Mullenders, denn das wäre töricht, aber wenn sie weggeht, flüstern wir untereinander. Vermutun gen und Gerüchte, Vermutungen und Gerüchte - das ist alles, was wir
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