RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Mutter mich weinend auf die Augenbraue. „Sei tapfer, Rena, sei vorsichtig, mach’s gut.“
Ich versprach zu schreiben und ihnen Essen zu schicken. „Sobald sich die Lage verbessert, komme ich wieder zurück.“
„Gute Reise“, sagte Papa feierlich. „Gott segne dich.“ Ich gab ihm einen Abschiedskuss und umarmte Danka. Dann ging ich ohne die Begleitung einer Anstandsdame in die dunkle Winternacht, um mich Andrzej anzuschliessen.
„Wir werden die ganze Nacht unterwegs sein. Wir dürfen nicht einmal flüstern – nicht ein Wort – denn die Hunde wittern Geräusche über grosse Entfernungen, und wenn sie einmal bellen, ist alles zu spät“, belehrte Andrzej mich. „Dann werden die Suchtrupps nach uns ausschwärmen, und die Chance, ihnen durchs Netz zu schlüpfen, ist sehr klein. Wenn ich nach unten deute, legst du dich flach auf den Boden. Du darfst weder den Kopf heben, noch die kleinste Bewegung machen, ehe ich dir bedeute, dass du aufstehen kannst.“ Er nahm meine Hand. „Ich werde den ganzen Weg deine Hand halten, damit du nicht hinfällst. Es ist wieder so, wie es in unserer Kindheit war, als ich dich und Danka den Berg hinabführte.“
Es war regnerisch und kalt, und Schneeregen setzte ein. Jedes Mal wenn das Licht der Suchscheinwerfer sich über das Gelände ergoss, fielen wir flach zu Boden, um keinen Schatten zu werfen. In diesem glitschigen Matsch wäre einem schon bei Tag, unter Gelächter und dem Singen von Schlittenliedern, das Gehen schwergefallen, aber schweigend und in Todesgefahr zu versuchen, nicht in die frische Schneekruste einzusinken, war nahezu unmöglich. Entlang einer Schlucht suchten wir uns unseren Weg zwischen Bäumen im Unterholt, um unsere Spuren zu verwischen.
Andrzej stolperte, verlor für eine Sekunde meine Hand aus seinem Griff. Aus dem Gleichgewicht gebracht, kämpfte ich dagegen an, in den Abgrund unter mir zu fallen, stürzte dann aber doch. Während ich den steilen Abhang hinunterrollte, versuchte ich, um meinen Sturz abzufangen, mich an den Baumästen festzuhalten, die mir in die Handfläche schnitten. Platschend fiel ich in einen Fluss. Ich biss mir auf die Zunge – nichts als eisüberkrustete Felsbrocken, um meinen Fall zu dämpfen. Die Stille der Nacht wich zurück. Eisiges Wasser bahnte sich seinen Weg durch meine Kleider. Wir spitzten die Ohren um zu hören, ob wir Hunde in den nahegelegenen Zwingern aufgeweckt hatten. Laut tropfte das Wasser von meinen Ellbogen. Keiner von uns beiden wagte sich zu rühren oder zu atmen. Kein Hundegebell.
Schliesslich gab Andrzej mir das Zeichen zum Aufstehen. Ich stützte meine Hände an den Felsen ab und erhob mich langsam. Meine Beine konnten mich kaum tragen, sie zitterten heftig vor Kälte und Angst. Nachdem Andrzej an einem Baum Halt gefunden hatte, reichte er mir die Hand. Meine Nägel gruben sich in sein Fleisch. Meine Muskeln zuckten zusammen, aber er hielt mich fest, als ich mich ans Ufer hocharbeitete. Endlich stand ich auf ebenem Boden. Mit seinen Händen rieb er die meinen, versuchte sie zu wärmen, während ich mir den Mund zuhielt, damit mein Zähneklappern nicht zu hören war. Er lächelte, und weil er wusste, wie nass und kalt ich war, nahm er meine Hand fester als zuvor und führte mich zu unserem Ziel.
Das Licht, das aus dem Bauernhaus drang, kam mir erst wie ein Trugbild vor. Ich war mir sicher zu träumen; es war spät, ein oder zwei Uhr morgens, doch da fiel dieser grossartige Lichtschein über den Schnee. Andrzej führte mich zum Stall. Dort warteten wir, an Kühe und Pferde geschmiegt.
„Das ist ein Verbindungspunkt des slowakischen und polnischen Untergrunds“, flüsterte Andrzej mir ins Ohr. Ich nickte und wusste, dass wir jetzt in Sicherheit waren.
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Sie wurden von einem Bauern begrüsst, der damit prahlte, wie er mit den Grenzwachen Poker gespielt hatte. Seine Frau servierte ihnen heissen Kakao und gab Rena etwas Trockenes zum Anziehen. Der Bauer Karl ging davon aus, dass Rena und Andrzej zusammen schlafen würden, aber Andrzej versicherte ihm, dass dem nicht so wäre, so bekam Rena das Ehebett und Andrzej schlief auf dem Dachboden. Am nächsten Morgen stiegen Karl, Andrzej und Rena als slowakische Bauern verkleidet in ein Fuhrwerk und brachen nach Bardejov auf.
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Vor dem Haus von Onkel Jakob nahm Andrzej meine Hand. „Ich habe mein Versprechen gegenüber deinem Vater gehalten, nicht wahr?“
„Das hast du, Andrzej.“
„Ich habe nur deine Hand gehalten.“
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